Digitalisierung. Visualisierung. Vermittlung. Auf der Bühne in Diskussion mit einem Cyborg bei „LBG meet Science 2019“

Die Ludwig Boltzmann Gesellschaft lud am 14. Mai zu LBG Meet Science 2019 ins Semperdepot (Atelierhaus der Akademie der Bildenden Künste Wien). 500 Gäste aus Wissenschaft, Forschung und Unternehmen kamen. Die Veranstaltung hatte Digitalisierung. Visualisierung. Vermittlung. zum Thema und zeigte in Form einer Ausstellung, an welchen Forschungsprojekten die Ludwig Boltzmann Institute zum Veranstaltungsthema arbeiten – das reicht von Visualisierungen in der Medizin bis zum digitalen Kuratieren und Vermitteln von zeitgeschichtlichen Ereignissen (..) Petra Schaper-Rinkel, Innovationsforscherin am AIT Austrian Institute of Technology, und Fabian Schneider, Futurist und Cyborg, unterhielten sich über künstliche Intelligenz, Umgebungssensorik und affective Computing. Die Moderation übernahm die Schauspielerin Laura Hermann.

https://www.lbg.ac.at/lbg-meet-science-2019

Ist der Cyborg eine (Denk)-Figur aus dem Technikmuseum?

Der Cyborg – als begeisterter Implanteur von technischen Gadgets unter der eigenen Haut – ist für mich eine Denkfigur aus dem Technikmuseums des 20. Jahrhunderts. Figuren wie Terminator, KI-Forscher wie Moravec proklamierten die Zukunft des Cyborgs und in den Intellektuellen Diskursen wurde das Cyborg-Manifest von Donna Haraway berühmt, die postulierte, dass sie lieber Cyborg als Göttin sei, um gegen die naive Naturverliebtheit und Technik-aversion in den Gegenkulturen der 1980er Jahre einen Kontrapunkt zu setzen. Damals ging die teledigitale Technologie noch einen anderen Weg als heute, damals glaubte man noch an ein Steuerungszentrum, an eine Künstliche Intelligenz, die quasi wie im menschlichen Gehirn in einem imaginären Kopf saß und von diesem Kopf aus die Welt sah und das Verhalten steuerte. Es war die Zeit der humanoiden Roboter, als der japanische Konzern Honda den humanoiden Roboter Asimo in die Welt schickte und dieser klein geratenen Roboterastronaut den Staatsgästen seine Fußball-Fähigkeiten präsentierte.

Der Cyborg ist mit dem Smartphone und der allgegenwärtigen Umgebungs-Sensorik obsolet geworden. Heute haben wir entgegen der Cyborg-Träume der Vergangenheit keine mikroelektronischen Sensoren und Aktoren im Kopf, wir haben sie in der Hand, in der Tasche und neben unserem Schreibtisch. Unser Smartphone muss nicht implantiert werden und trotzdem werden alle Informationen gesammelt, die unser Verhalten und unserer Wünsche erkennbar machen.  Wir sind also alle Cyborgs, aber nicht mehr im als Träger von Implantat-Trägern.

„Cyborgs sind kybernetische Organismen, Hybride aus Maschine und Organismus, ebenso Geschöpfe der gesellschaftlichen Wirklichkeit wie der Fiktion.“  So fasste es Donna Haraway in ihrem berühmten Cyborg Manifest zusammen. Heute leben wir in einer Cyborg-Polis, einer hybriden kybernetischen Gesellschaft, in der wir uns allgegenwärtig mit halbautomatisierten Menschen und halbautomatisierten Maschinen austauschen.

Der Technikphilosoph Günther Anders konstatiert noch in den 1950er Jahren: „Durch unsere unbeschränkte prometheische Freiheit, immer Neues  zu  zeitigen  (und  durch  den  pausenlosen  Zwang,  dieser  Freiheit unseren Tribut zu entrichten), haben wir uns als zeitliche Wesen derart in Unordnung gebracht, dass wir nun als Nachzügler dessen, was wir selbst projektiert und produziert hatten, mit dem schlechten  Gewissen  der  Antiquiertheit  unseren  Weg  langsam fortsetzen oder gar wie verstörte Saurier zwischen unseren Geräten einfach herumlungern.“

Die Antwort des 20. Jahrhunderts war der Cyborg: Mit jeder technologischen Neuerung verschmelzen, um nicht zu langsam zu sein.  Was können die Antworten des 21. Jahrhunderts sein?  Der französische Techniktheoretiker Bruno Latour hat zur Jahrhundertwende rund um das Jahr 2000 „das Parlament der Dinge“ freundlich ausgemalt: eine Welt, in der die Grenzen zwischen Menschen, Technologien und Natur aufgehoben sind und in ihrer Repräsentation verbunden sein könnten. Mit den totalitären Versuchungen der Künstlichen Intelligenz stellen sich neue Fragen. Sensoren und digitale Systeme erkennen  zunehmend  die  Gefühlslage  derer,  die sie nutzen und können entsprechend reagieren. Mittels digitaler Technik  lassen  sich  menschliche  Stimmungen  und  Gefühle  immer  besser  bestimmen  und  zugleich  werden  immer  mehr  Interventionen  entwickelt,  auf  die Stimmungen von Individuen zu reagieren bzw. diese zu nutzen und zu beeinflussen. Wir sind Teil eines globalen Cyborgs – ohne jedes Implantat.

On Stage LBG Fotocredit:Moritz Nachtschatt