Mai 2010: Nanotechnologiepolitik – The discursive Making of Nanotechnology (Buchbeitrag)

Petra Schaper-Rinkel (2010). Nanotechnologiepolitik: The discursive Making of Nanotechnology. In: Petra Lucht, Martina Erlemann und Esther Ruiz Ben (Hrsg.): Technologisierung gesellschaftlicher Zukünfte, S. 33-47.

[Politics of Nanotechnology. The discursive Making of Nanotechnology]

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Einleitung

Nanotechnologie ist ein heterogenes technologisches Feld, dessen Ränder unscharf sind und das sich nach wie vor im Wandel befindet. In Deutschland, wie auch in der Europäischen Union und den USA wurde von technologiepolischen Akteuren ein breiter Begriff von Nanotechnologie eingeführt, um ein weites Spektrum an Disziplinen und Branchen zu adressieren  (BMBF 2004: 7). Damit wurde international das Leitbild der Nanotechnologie als Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts etabliert, Produkt- und Verfahrensinnovationen in jeder Branche prognostiziert. Wenn Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik an der Definition dessen beteiligt sind, was als Nanotechnologie begriffen wird, so stellt sich die Frage nach dem Status der heterogenen Diskurse, die das Technologiefeld formieren und sichtbar machen. Begleiten und kommentieren Diskurse die Entwicklung der Nanotechnologie? Ist der öffentliche Diskurs gar ein potentieller Störfaktor für die Entwicklung von Zukunftstechnologien? Oder formieren Diskurse erst das Feld der Nanotechnologie und sind somit ein konstituierender und entscheidender Faktor der Entwicklung der Nanotechnologie?

Seit den 1980er Jahren werden Technologien auch als politische Projekte analysiert, die sozial gestaltet werden. In einem berühmten Aufsatz fragte Langdon Winner im Jahr 1980: „Do Artifacts Have Politics?“ Technologien, bei Winner konkrete Artefakte, haben „political qualities“ (Winner 1980). Nun lässt sich bisher nur über wenige und wenig spektakuläre „Artifacts“ aus dem Bereich der Nanotechnologie sprechen, da die Kluft zwischen als revolutionär apostrophierten Nanotechnologien der Zukunft und den bisher auf Verbrauchermärkten vorhandenen Produkten und Verfahren unübersehbar ist. Während sich die Analysen der im weitesten Sinne konstruktivistischen Technikforschung retrospektiv den bereits existierenden Artefakten widmeten, kann in Bezug auf Nanotechnologien primär von den projektierten – diskursiven und imaginären – Artefakten der Zukunft die Rede sein. Die heutigen „Nano-Fakte“ gewinnen ihre soziale Relevanz noch nicht aus ihrer materiellen Existenz, sondern daraus, dass sie technologiepolitische Ziele und Zukunftsoptionen strukturieren. Die Nanotechnologien der Zukunft werden durch die aktuelle Politik bestimmt: Sowohl Forschungs- und Technologiepolitik, als auch Wirtschaftspolitik sind darauf ausgerichtet, in Zusammenarbeit mit Akteuren aus Forschung und Industrie Schlüsseltechnologien zu definieren und diese in Fachöffentlichkeiten, bei Investoren und in der breiten Öffentlichkeit zu verankern, um so ihre weitere Entwicklung und Verbreitung zu ermöglichen und zu forcieren.  Das Feld der Nanotechnologie wird maßgeblich durch politische Diskurse bestimmt, denn hier werden heterogene verteilte Diskurse und ihre materiellen Praktiken – von Fachdiskursen in Industrie und Umweltverbänden über Wissen­schafts­jour­nalis­mus bis Technikfolgenabschätzung – zu konkreten Regeln verdichtet. Diskurse sind dabei mit Foucault Praxen, die eine konkrete soziale, politische und in diesem Fall auch technologische Wirklichkeit (trans)formieren. Diskurse repräsentieren und transformieren als Ensemble von Praxen und Aussagen gesellschaftliche Verhältnisse (Schaper-Rinkel 2003: 78ff.).

Wird die Etablierung neuer Technologien politikwissenschaftlich untersucht, so geschieht dies zumeist in Form einer Politikfeldanalyse. Politikfeldanalysen gingen vielfach von dem gegebenen ‚Gegenstand’ ihrer Analyse aus, der durch staatliche Politik reguliert wird. Im Folgenden soll gezeigt werden, wie bereits in der Konstituierung des Gegenstands staatliche Politik maßgeblich beteiligt war. Erstens: Mit der Formierung eines Diskurses über Nanotechnologie wurde das politische Feld formiert und damit zugleich eine neue Dimension gesellschaftlicher Handlungsfähigkeit projektiert: Die Handlungsfähigkeit im Nano-Kosmos, mit der es möglich sein soll, Materie auf atomarer Ebene zu kontrollieren (Seite 3). Zweitens: Mit der politischen Formierung der Nanotechnologie erfolgte eine Etablierung des Politikfeldes durch die politisch forcierte Verbreitung der Nano-Diskurse über Fachöffentlichkeiten hinaus. Drittens schließlich gehört zur diskursiven Produktion der Nanotechnologie die Kontrolle der Nano-Diskurse. (vgl. dazu die folgenden Abschnitte)

Gezeigt werden soll Folgendes: Neue Technologiefelder wie das der Nanotechnologie werden diskursiv entwickelt. Diskurse sind kein Modus, der die Entwicklung der Nanotechnologie ‚nur’ begleitet und kommentiert, sondern Diskurse formieren das Technologiefeld. Die stetige diskursive Modifikation von Szenarien, Praxen und Institutionalisierungen macht dabei die Dynamik der Veränderung aus.