Politik als Initiierung von Spielfeldern und Setzung von Spielregeln. Forcierung und Regulierung der Nanotechnologie (Buchbeitrag)


Petra Schaper-Rinkel (2006). Politik als Initiierung von Spielfeldern und Setzung von Spielregeln. Forcierung und Regulierung der Nanotechnologie. In: Gunter Gebauer, Stefan Poser, Robert Schmidt, Martin Stern (Hrsg.). Kalkuliertes Risiko. Technik, Spiel und Sport an der Grenze. Frankfurt am Main / New York: Campus. S. 268-287

Auszug: Politik als Spiel

Politik forciert Schlüsseltechnologien, indem sie Spielfelder initiiert, und Politik reguliert die technologische Entwicklung, indem sie Spielregeln setzt. Politik als ein Spiel zu begreifen, kann sehr Unterschiedliches bedeuten: Im weiten metaphorischen Sinn wird Politik in der Alltagssprache als ein Spiel begriffen, wenn entweder auf den unvorhersagbaren Charakter politischer Entscheidungsprozesse verwiesen werden soll oder im pejorativen Sinne, dass politische Entscheidungsträger die Prozesse, die sie bestimmen, nicht mit der gebotenen Ernsthaftigkeit entscheiden. In der Politikwissenschaft wird Politik primär als Spiel begriffen, wenn strategische Konstellationen und Interaktionen mittels der Spieltheorie modelliert werden (vgl. Gates/Humes 1997). Diese mathematisch formulierte Form, Politik als Spiel zu analysieren, beruht auf einem Modell rationalen Entscheidens unter Bedingungen strategischer Interdependenz der Akteure. Damit steht die traditionelle Spieltheorie im Gegensatz zu Diskurstheorien, die an Foucault angelehnt, die Konstituierung von spezifischen Akteuren (Mitspielern), Rationalitäten, Konstellationen und Institutionalisierung im Kontext von Machtstrukturen zum Gegenstand der Untersuchung machen – und sie nicht als bestehende und feststehende Entitäten und als zeitlich vorgängige Voraussetzungen des Spiels auffassen. Nach Foucault besteht die Aufgabe der Diskursanalyse darin, „nicht – nicht mehr – die Diskurse als Gesamtheit von Zeichen (von bedeutungstragenden Elementen, die auf Inhalte und Repräsentationen verweisen), sondern als Praktiken zu behandeln, die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen” (Foucault 1995:74).
Der hier gewählte Ansatz ist der Versuch, die Umrisse einer diskursiven Spieltheorie zu skizzieren, die nicht formal ist, sondern auf die Konstituierung des Gegenstands und seiner Akteure (der Konstituierung von Spielfeldern) sowie auf die Kodifizierung von Spielregeln ausgerichtet ist. Die Übereinstimmung mit der traditionellen Spieltheorie liegt darin, strategische Spiele zu untersuchen, also Spiele bei denen die Spieler (im Gegensatz zu Glücksspielen) Einflussmöglichkeiten haben, um den Spielausgang vollständig oder teilweise zu bestimmen. Bei strategische Spielen dieser Art „hängt das Schicksal außer von seinen eigenen Handlungen auch noch von denen seiner Mitspieler ab“ (Neumann 1928: 295).
Mit der Konstituierung einer Schlüsseltechnologie und eines politischen Feldes zur Gestaltung dieser Technologie wird ein Spielfeld konstituiert, das auf bestehenden Machtverhältnissen beruht, diese also reproduziert und dabei zugleich transformiert. Mit der Konstituierung des Spielfeldes tauchen Spieler auf, entstehen strategische Konstellationen, werden bisherige Spielregeln angewendet und zugleich neue Spielregeln vorgeschlagen und entworfen, die der Spezifik des neuen Gegenstandes – in diesem Fall der „Nanotechnologie“ – entsprechen sollen und diesen Gegenstand zugleich erst konstituieren und begrenzen. Hier zeigt sich die Besonderheit des Spiels der Politik als eines dynamischen: Während kulturwissenschaftliche Betrachtungen des Spiels, wie sie Johan Huizinga entwickelt hat, von der Abgeschlossenheit des Spiels durch definierte Orte und Zeit ausgehen, die in diesem Sinne gerade die Spezifik des Spiels ausmachen (Huizinga 1994: 15 ff.), sind die Spielfelder und Spielregeln in der Politik in einem ständigen Veränderungsprozess. Neue Technologien wie die Nanotechnologie werden politisch forciert, um überlegene Ressourcen in dem Spiel um internationale Macht und Marktanteile einsetzen zu können. Mit dem Veränderungspotential von Schlüsseltechnologien werden zugleich neue Spielregeln notwendig.
Die umfassende Ausbreitung neuer Technologien verändert die politische, soziale und ökonomische Verfasstheit von Gesellschaften. Technologiepolitik ist in diesem Sinne Gesellschaftspolitik. Doch in der traditionellen Technologiepolitik bestimmten lange Zeit die staatliche Administration, die naturwissenschaftlich-technischen Wissenschaftsdisziplinen und die Industrie sowohl die Spielfelder als auch die Spielregeln unter sich. Diese korporatistische Exklusivität wird seit den siebziger Jahren durch Bürgerinitiativen, Soziale Bewegungen und Expertenpluralismus in Frage gestellt. Die Auseinandersetzungen um Atomtechnik und grüne Gentechnik sind die deutlichsten Indizien dafür, dass die Zeiten exklusiver Definition von Spielfeldern und Spielregeln vorbei sind. Krebs durch Asbest, die Zerstörung der schützenden Ozonschicht durch FCKW sind nur zwei Beispiele für die langfristigen Schäden, die aus einstmals gefeierten technischen Innovationen entstanden sind (EEA 2001). Da sich die Gesellschaft im Zuge der Entwicklung und Diffusion von Nanotechnologien mehr oder weniger grundlegend verändern wird, hat das Spielfeld notwendigerweise unscharfe Ränder, denn je stärker die Bedeutung der Nanotechnologie offenbar wird, desto mehr Akteure artikulieren ihr Interesse daran, Spielfelder und Spielregeln mit zu gestalten. So sind die Spielfelder und Spielregeln für neue Technologien umstritten. Während die Spielfelder explosiv zunehmen (neue nanotechnologische Produkt- und Verfahrensinnovationen dezentral entwickelt werden), bleibt die Explikation und Formalisierung von Spielregeln zurück. Denn die Entwicklung neuer Spielfelder braucht nur einige Mitspieler und geht somit schnell voran. Die Definition der Spielregeln ist dagegen eine gesellschaftliche Aufgabe und braucht daher Verhandlungszeit. Für die bisherige Politik der Nanotechnologie lässt sich feststellen: die Kodifizierung der Spielregeln hält nicht Schritt mit der Ausbreitung der Spielfelder.