Die Macht von Diskursen: Europäisierung, Ökonomisierung und Digitalisierung der Telekommunikation (Buchbeitrag)

 

Petra Schaper-Rinkel (2006): Die Macht von Diskursen: Europäisierung, Ökonomisierung und Digitalisierung der Telekommunikation. In: Franz X. Eder (Hrsg.). Historische Diskursanalysen. Genealogie, Theorie, Anwendungen (Sonderband der Österreichischen Zeitschrift für Geschichtswissenschaft). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 223-237, DOI: 10.1007/978-3-531-90113-8_12

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Abstract

Die Geschichte Westeuropas seit den Römischen Verträgen eignet sich für Diskursanalysen, die an Foucault anknüpfen: Der Diskursbegriff, den Foucault entwickelt hat, verbindet die Produktion von Texten mit materiellen, sozialen, politischen und institutionellen Praxen. Anhand der verschiedenen europäischen Dokumente, die einen unterschiedlichen Grad an Konkretheit und rechtlicher Verbindlichkeit aufweisen, lässt sich die europäische Politik und die Europäisierung der Politik der letzten Jahrzehnte umfassend analysieren. Europäisierung bedeutet die Etablierung einer Ordnung des Diskurses, die über spezialisierte Orte des legitimen Sprechens verfügt („Brüssel“), eine Institutionalisierung des Sprechens etabliert und somit eine Ordnung der Macht konfiguriert. Diese Ordnung der Macht hat die Politik in Europa (in den Mitgliedstaaten, und in den Staaten, die der Gemeinschaft betreten wollen) entscheidend verändert. Mit der Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Union haben umfassende Machtverschiebungen stattgefunden, in deren Verlauf die politische Ordnung der europäischen Staaten umfassend transformiert wurde.

Die verschiedenen Dokumente in der europäischen Politik, die von rechtlich wenig verbindlichen und auf breite Diskussion angelegten so genannten „Grünbüchern“ bis zu rechtlich direkt verbindlichen „Richtlinien“ und „Entscheidungen“ reichen, verweisen auf diskursive Praxen, die von Diskussion bis zu konkreten materiellen Praxen (die durch verbindliche Rechtsdokumente durchgesetzt werden) reichen. Hier lässt sich zeigen, wie zu einem historischen Zeitpunkt eine begrenzte Menge von Aussagen zu einem bestimmten Thema gemacht werden, wie sich diese Aussagen verdichten, zu Kontroversen, Konsens und/oder Kompromiss werden und schließlich in materielle (Rechts-)Praxen verwandelt werden.

Wenn vielfach konstatiert wird, dass Zustandekommen von Entscheidungen auf europäischer Ebene undurchsichtig sei, so liegt dies zum nicht unerheblichen Teil an der schwer fassbaren Diskursstruktur und der vielschichtig verflochtenen Bedeutungshierarchie und Wirkungsmächtigkeit der europäischen (Rechts-)Dokumente. Eine Diskursanalyse europäischer Politik zeigt daher auch, wie notwendig es ist, methodische Fragen zum Status von (politisch unterschiedlich relevanten) Diskurspraxen zu explizieren.

Die Diskurse sind in ihren Ergebnissen auf verschiedenen Ebenen weitgehend verfügbar, die Regeln der Diskursproduktion sind Gegenstand des Diskurses, und es existiert eine Hierarchie an Dokumenten, die den Prozess von unverbindlicher Ideenproduktion bis zur Realisierung von Maßnahmen / Materialisierung abbildet und zugleich vorantreibt. Aufgrund der hohen Reflexivität der europäischen Politik, die stets auch die materiellen Veränderungen (die sich durch die europäische Politik ergeben) in den Mitgliedsländern erhebt und dokumentiert, lässt sich anhand der europäischen Diskurse auch die Schnittstelle von sozialer/politischer Theorie und Texttheorie konkretisieren.
In dem Beitrag wird die konkrete Anwendung diskursanalytischer Methoden anhand der Europäisierung der Telekommunikationspolitik vorgeführt. Untersucht wird das Zusammenspiel von politischem Diskurs, politischer Integration und technischem Wandel. Diese Untersuchung an der Schnittstelle von Integrationsgeschichte und Technikgeschichte zeigt diskursanalytisch die dreifache Transformation der Telekommunikation von nationalstaatlich regulierten analogen Versorgungsinfrastrukturen zu einer europäisch regulierten digitalen Marktinfrastruktur für kommerzielle teledigitale Dienstleistungen.