Vortrag auf der TA13 – 3. Juni 2013, Wien: Selbstbestimmte Fremdbestimmung? Innovationsdynamiken konvergierender Technologien

Petra SCHAPER-RINKEL (AIT – Austrian Institute of Technology), „Selbstbestimmte Fremdbestimmung? Innovationsdynamiken konvergierender Technologien“, Vortrag auf der TA13 Konferenz, ITA Österreichische Akademie der Wissenschaften, „Sicherheit als Technik“, 3. Juni 2013

Abstract

Sicherheit ist ein politisch umkämpfter Begriff, mit dem Politik gemacht wird. Diskurse über Sicherheit bilden zentrale Ansatzpunkte, an denen sowohl politische und soziale Verhältnisse als auch technologische Entwicklungen verhandelt und konfiguriert werden. Eine wichtige Frage ist vor diesem Hintergrund, welche Konzepte von Sicherheit derzeit hohe Chancen haben, hegemonial zu werden und sich damit auch politisch und technologisch durchzusetzen.

In der sozialwissenschaftlichen Kritik lassen sich zwei analytische Stränge feststellen. Einmal die Analyse direkter staatlicher Sicherheitspolitiken auf Feldern wie der privatisierten Kriegsführung, der Terrorismusbekämpfung oder der Migrationskontrolle. Zum anderen die Analyse indirekterer Politiken in Bereichen wie dem individuellen Risikomanagement und der Gesundheitsprävention. In den technologiepolitischen Konzepten zur Konvergenz von Nano-, Bio-, Informationstechnologien und Kognitionswissenschaften (NBIC) sind diese beiden Politiken eng verbunden, soll doch die Konvergenz zukünftig sowohl der Militär- und Sicherheitsforschung dienen, als auch revolutionäre medizinische Anwendungen in der Zukunft ermöglichen. Beide Bereiche treffen sich dort, wo in hohem Maße individuelle Daten in umfassenden Systemen vernetzt werden. Ein Feld auf dem sich zeigt, dass die Konvergenz von Technologien zugleich eine de facto-Konvergenz von widersprüchlichen Sicherheits- und Freiheitskonzepten bedeutet, ist die Verbindung von Web 2.0-Anwendungen mit Fitnessangeboten und Medizintechnik. Während im Bereich der Sammlung  individueller Daten durch staatliche Einrichtungen eine Vielzahl von Datenschutzbestimmungen darauf ausgerichtet ist, der Dynamik des Datensammelns das Prinzip der Datensparsamkeit als Gegenpol entgegenzusetzen, hat die private Datensammlung und -veröffentlichung von Web 2.0-Nutzern keinen begrenzenden Gegenpol. In der Konvergenz des Web 2.0 mit individuellem Monitoring, medizinischen Forschungstechnologien und neuen Hoffnungen in die Gentechnik (Direct-to-consumer genetic testing) entstehen Anwendungen, die sich im Hinblick auf Sicherheit, Freiheit und Selbstbestimmung konträr deuten lassen: Den Nutzern, die ihre Daten zu Vergleichszwecken in Portalen speichern, gibt die elektronische Selbstvermessung (Quantified Self-Bewegung) Sicherheit und wird als Modus der freien Wahl wahrgenommen, individuelle Gesundheitsrisiken kontrollieren zu können und gleichzeitig mit ihren Daten zu bahnbrechenden Erfolgen in der zukünftigen Medizin beitragen zu können (z.B. 23andWe). Die Kritiker sehen darin das Ende von Freiheit und eine Gefahr für Datensicherheit.

Nicht nur die Bewertung, auch die Konzepte von Sicherheit und Freiheit, die bei dieser Bewertung aufeinandertreffen, sind gegensätzlich, da sie sich aus der Nutzerperspektive auf einen individuellen Bezugsrahmen mikro-ökonomischer Perspektive beziehen und während sich die kritische Position aus einer gesellschaftlichen Perspektive speist, die kumulative und nicht-intendierte Effekte des individuellen Handelns als Grundlage der Bewertung hat. Hier zeigt sich, wie wichtig eine interdisziplinäre, aber insbesondere auch transdisziplinare Herangehensweise der Analyse und Bewertung ist. Sicherheit als Querschnittsmaterie kann weder auf die Logik einzelner Disziplinen noch einzelner Dimensionen reduziert werden. Da die globalen Plattformen, auf denen Nutzer ihre Daten speichern und veröffentlichen, nur begrenzt durch nationalstaatliche Regulierung gestaltbar sind, ist es zentral, Formen der gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu entwickeln, die sich der Perspektive der Nutzer annimmt.

Ein Ansatzpunkt ist dabei, die Konstruktion von Zukunft selbst in den Blick zu nehmen, da sich sowohl die affirmative als auch die kritische Position stark aus Annahmen über die Dynamik technologischer und gesellschaftlicher Entwicklung speist. Ein solches „Technofutures Assessment“ würde die Ausweitung von TA-Aktivitäten bedeuten, bei der TA einen gesellschaftspolitischen Diskurs über die Ziele, die mit den jeweiligen Technologien zukünftig erreicht werden sollen und die Erwartungen an Innovationsdynamiken initiieren würde. Zentral wäre dabei, nicht nur die technologischen Erwartungen zu thematisieren, sondern auch die politischen und gesellschaftlichen Dynamiken sichtbar zu machen und explizit zur Debatte zu stellen, die implizit in technofuturistischen Diskursen enthalten sind. Sicherheit und Freiheit sind zwei zentrale Begriffe, die im Kontext von gesundheitsorientierten Web 2.0-Technologien als Selbstbestimmung und als selbstbestimmter Umgang mit individuellen Risiken thematisiert werden, aber eine weit über das individuelle hinausreichende politische Bedeutung haben (z.B. Gentests im Kontext von Migrationspolitik). In diesem Beitrag werden die widersprüchlichen Konzepte des Zusammenhangs von Sicherheit, Freiheit und Selbstbestimmung am Beispiel von Biotechnologien und Web 2.0-Technologien diskutiert.