Dekonstruktion und Herrschaft. Politische Implikationen anti-essentialistischer Theorie (Buchbeitrag)

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Petra Schaper-Rinkel (2006). Dekonstruktion und Herrschaft. Politische Implikationen anti-essentialistischer Theorie. In: Detlef Georgia Schulze, Sabine Berghahn, Frieder Otto Wolf. Politisierung und Ent-Politisierung als performative Praxis. Münster: Dampfboot. S. 42-57

Postmoderne und Dekonstruktion werden vielfach als Verabschiedung von ‘materialistischen’ Analysen gesellschaftlicher Verhältnisse – und somit auch als Abschied von marxistischen Analysen – rezipiert (Eagleton 1997). Dieses Verdikt wirkt zugleich als Rezeptionssperre im Hinblick auf das analytische Potential entsprechender Theorieansätze.
Unbestritten ist, daß postmoderne Gegenwartsbeschreibungen vielfach eine Affirmation bestehender Herrschaftsverhältnisse bedeuten. Die Möglichkeiten einer radikalen Kritik, die mit den Ansätzen der Dekonstruktion verbunden sind, geraten dabei leicht in den Hintergrund.

In dem Spannungsverhältnis des Vorwurfes, die herrschenden Verhältnisse nur zu bestätigen, und dem Versuch, mit Ansätzen der Dekonstruktion eine radikale Herrschaftskritik zu leisten, standen Anfang der neunziger Jahren vor allem Ansätze zur Dekonstruktion der Kategorie Geschlecht, wie sie im Anschluß an Judith Butler diskutiert wurden (Butler 1991, Butler 1993, Benhabib et al 1993). Die ablehnende Lesart von Butlers Dekonstruktion der Kategorie Geschlecht bezog sich insbesondere darauf, sie würde Macht und Herrschaft in Beliebigkeit und reine Sprachspiele auflösen. Ist geschlechtshierarchische, rassistische und klassistische Arbeitsteilung und Herrschaft lediglich ausgeblendet im Rahmen postmoderner Dekonstruktions-Ansätze (begründet in den akademischen Disziplinen, in denen die theoretischen Impulse entstanden und weiterentwickelt wurden), oder bezieht sich Dekonstruktion zwangsläufig ausschließlich auf das Feld des kulturellsymbolischen und der Diskurse? Lassen sich die Felder von Arbeitsteilung und Herrschaft auf der einen Seite und das kulturell-symbolische auf der anderen Seite überhaupt so trennen, wie es noch immer hegemoniale sozialwissenschaftliche Praxis ist?

In dem Beitrag wird gezeigt, was De-konstruktion für die Analyse der gesellschaftlichen Konstituierung der Individuen als Subjekte und damit für den Zusammenhang zwischen individuellem, prozeßhaften Subjekt-sein und der Produktion und Reproduktion gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse impliziert. Die daran anknüpfende Frage ist die nach den politischen Konsequenzen. Welche Ansatzpunkte und Ausgangspunkte von Veränderung und von Widerstand gegenüber Herrschaftsverhältnissen legt eine solche Analyse der Reproduktion von Herrschaft nahe?