Gender in der Politischen Ökonomie der Neurotechnologien. Von der Kritik der Theorien zur Kritik der Praxen (Vortrag in der Ringvorlesung: „Sind wir nie modern gewesen? Gender in der technologisierten Leistungsgesellschaft“ am 17.05.2011 Universität Wien)

Öffentliche Veranstaltung im Rahmen der interdisziplinären Ringvorlesung  „Sind wir nie modern gewesen? Gender in der technologisierten Leistungsgesellschaft“ an der Universität Wien
Koordination und Programm: Univ.-Prof.in Dr.in Sigrid Schmitz
17.5.2011
18:15 – 20:45 Uhr

Susanne Lettow:
Das Geschlecht in der Bioökonomie. Anforderungen an eine kritische Gesellschaftstheorie

Petra Schaper-Rinkel:
Gender in der Politischen Ökonomie der Neurotechnologien. Von der Kritik der Theorien zur Kritik der Praxen.

Mit den weitreichenden Zukunftsversprechen der Neuroforschung und den heute schon üblichen neuropharmakologischen Praxen werden traditionelle Grenzziehungen in Frage gestellt: Unglück wird mit Glückspillen behandelt, Misstrauen mit Bindungshormonen beeinflussbar und sowohl Sozialverhalten als auch Vergessen und Erinnern können mit Psychopharmaka gesteuert werden. Damit wird nicht nur die gesellschaftliche und individuelle Verfügbarkeit über Wohlbefinden, Leistungsfähigkeit und soziale Kompatibilität neu verhandelt. Die Phänomenologie neurowissenschaftlicher und -technologischer Praxen zeigt auf der empirischen Ebene neben einer hohen Ausdifferenzierung einen gemeinsamen Fokus: Er ist auf die individuelle wie volkswirtschaftliche Optimierung gerichtet. Werden vergeschlechtlichte Eigenschaften damit zu veränderbaren Variablen, die entsprechend der je unterschiedlichen individuellen Anforderungen optimiert werden? Gender in der technologisierten Wettbewerbsgesellschaft zu analysieren bedeutet auch, die Frage danach zu stellen, wie nicht nur der Körper, sondern insbesondere das Gehirn und seine emotionalen wie kognitiven Zustände zu einem Gegenstand von Intervention werden und wie herrschende Geschlechterverhältnisse in neuen Formen inkorporiert werden.

Der Vortrag geht einerseits der Frage nach, in welcher paradoxen Weise Geschlechterverhältnisse in der Verbreitung von Neurotechnologien neu verhandelt werden und was diese Praxen für eine Bedeutung in der Transformation des Verhältnisses von Staat, Ökonomie und Individuum haben. Zum anderen wird es darum gehen, auszuloten, was eine Kritik neurowissenschaftlich basierter Praxen für eine kritische Gesellschaftstheorie und Gender Studies bringen kann.