Wie nanotechnologische Tatsachen entstehen (Buchbeitrag 2007)


Petra Schaper-Rinkel (2007). Wie nanotechnologische Tatsachen entstehen: Die Entwicklung der molekularen Nanotechnologie zwischen internationalen Forschungsgemeinschaften, interdisziplinären Denkstilen und Politik. In. Bozena Choluj (Hrsg.), Von der wissenschaftlichen Tatsache zur Wissensproduktion: Ludwik Fleck und seine Bedeutung für die Wissenschaft und Praxis. Frankfurt am Main.

Einleitung

Was ist ein technologiepolitisches Feld? Ludwik Fleck fragte, was eine Tatsache ist und wandte sich einer ‚neueren Tatsache’ zu. ‚Neuere Tatsachen’, deren Entdeckung noch nicht allzu lange zurückliegt, die noch nicht selbstverständlich erscheinen, schienen ihm die interessanteren erkenntnistheoretischen Gegenstände, da bei altbekannten Tatsachen „die kritische Einsicht in den Erkenntnismechanismus“ aufgrund ihrer alltäglichen Selbstverständlichkeit nicht mehr möglich ist (Vorwort Fleck 1935/1980). Ähnlich verhält es sich mit technologiepolitischen Feldern. Neue technologiepolitische Felder ermöglichen einen Blick auf die eng verzahnte Konstituierung von Schlüsseltechnologien und Politik. Lässt sich Flecks begriffliches Instrumentarium nutzen, um die Entstehung und Entwicklung eines technologiepolitischen Feldes zu analysieren? Fleck beschreibt die Ebene der denkend Handelnden und hat damit einen starken Akteursbegriff. Wird die Entwicklung neuer Technologiefelder diskursanalytisch in den Blick genommen, werden die Bedeutung institutioneller Akteure und die strukturellen Bedingungen des Handelns deutlich (Schaper-Rinkel 2003; Schaper-Rinkel 2006). Mit Flecks Kategorien der Präideen, des Denkstils und der populären Wissenschaft lassen sich handlungsleitende Ideen und ihr Beitrag für die Konstituierung neuer Technologien in den Blick nehmen.

Die Entwicklung einer Schlüsseltechnologie (die jeweils ein technologiepolitisches Feld absteckt) hat mit der medizinischen Forschung, die Flecks Ausgangspunkt bildete, die Anwendungsorientierung gemeinsam. Ziel der Nanoforschung und ‑entwicklung ist die Entwicklung von Anwendungen, sowohl die konkrete Entwicklung von neuen Verfahren (Prozessinnovationen) als auch von neuen Produkten (Produktinnovationen). Allerdings lässt sich ebenfalls ein gewichtiger Unterschied feststellen, denn während es in der medizinischen Forschung konkrete Probleme (Krankheiten) sind, die es zu lösen gilt, sollen mit der Entwicklung und Diffusion von Schlüsseltechnologien, Probleme und Problemlösungen adressiert werden, die noch gar nicht näher bestimmt sind. Das Ziel heutiger staatlicher Technologiepolitik ist es, ein Höchstmaß an neuen Produkten und Verfahren zu generieren (um wirtschaftliches Wachstum zu forcieren), ohne dass dabei absehbar ist, um welche Innovationen es sich konkret handelt.