Vortrag auf der Tagung von GWTF und GWG am 18./19.11.2011 in Berlin: Wissenschaft als Erzählung – Erzählungen der Wissenschaft
Szenarien als narrative Zukunftsmaschinen: Konjunkturen in der Konstruktion von Zukunft
Petra Schaper-Rinkel
Strategisches Handeln in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ist mit der Konstruktion hypothetischer Zukünfte verbunden. Mit der Zukunft als Gegenstand sind epistemologisch einzigartige Probleme verknüpft, da es sich um eine Realität handelt, die empirisch noch nicht materialisiert ist. Doch wird ‚die Zukunft‘ (oder auch eine Vielzahl an Zukünften) durch Prognosen, Simulationen, Modelle, Delphi-Befragungen und Szenarien als eine hypothetisch konstruiert und antizipiert. Zukünftige Märkte werden quantifiziert, der zukünftige Energiebedarf simuliert, Verkehrsströme der Zukunft modelliert und die Welt der Zukunft bis in das Jahr 2050 in Szenarien narrativ gefasst. In Foresight Prozessen und partizipativen Verfahren zu Zukunftstechnologien sind Szenarien eines der Verfahren, mit denen Zukünfte konstruiert werden, die über einzelne Technologien und Gegenstandsbereiche hinaus gesellschaftliche Narrative entwerfen. Szenarien bündeln die Hypothesen über Dynamiken, Entwicklungen, Trends einer zukünftigen Gegenwart in Form von Erzählungen. Diese Skizzen einer Welt in einem fiktiven Zeitpunkt der Zukunft schaffen damit eine Möglichkeit, abstrakte Hypothesen zu einer Gesamtschau des Lebens in der Zukunft, inklusive der materiellen Beschaffenheit von Elementen der Zukunft zu bündeln.
Dabei beruhen die Methoden, Objekte und Theorien, aus denen die Zukunftsszenarien entwickelt werden, auf wissenschaftlichem Wissen, werden aber selbst erst im Kontext spezifischer gesellschaftlicher und politischer Konstellationen entwickelt. Die Bedeutung von Szenarien liegt primär darin, als trans-disziplinäres Medium zu fungieren, das wissenschaftliche Erkenntnisproduktion auf verschiedenen Feldern (z.B. emerging technologies, Nachhaltigkeit, Innovationsforschung) verbindet und mit den Wissensbeständen von politischen Entscheidungsträgern (insbesondere aus der Administration) verbindet. Als partizipative Prozesse, die trotz aller Variationen bestimmte Vorgehensweisen gemeinsam haben, fungieren Szenario-Prozesse als ein Ensemble von Elementen und Verfahren der Genese von Zukunfts-Wissen.
Die Produktion dieser Zukunftskonstruktionen, die eine eigene Materialität in Form von Szenario-Narrativen hervorbringt, ist in zwei verschiedenen Formen ein Feld von Forschung und Wissenschaft: Zum einen handelt sich bei der Produktion von Szenarien um ein Feld von Techniken und Technologien, die beständig weiterentwickelt werden, um Unternehmen, Ministerien und die Europäische Kommission zukunfts-bezogenes Wissen zur Verfügung zu stellen. Zum zweiten können Szenarien (und andere Formen des Zukunfts-Wissen wie Datenkurven und visuellen Artefakten) ein Forschungsfeld konstituieren, das in der Tradition der Science and Technology Studies (STS) die Praxen der Generierung von Zukunft analysiert. Beide Praxen, das ‚Zukunft machen‘, ‚futuring‘ sowie die Analyse eben dieser Praxen bilden ein Ensemble von theoretischen und praktischen Praxen, die in dem Beitrag als ein Experimentalsystem analysiert werden sollen.