Vortrag auf der „TA’09 Wann TA? Technikfolgenabschätzung im Zeitalter der Technowissenschaften“
Wien, 08. Juni 2009
Petra SCHAPER-RINKEL
Abstract:
Wie in den letzten Jahren aus dem Feld der Neurowissenschaften Technology Assessment angeregt und betrieben wurde, lässt sich als ein spezifischer Umgang mit dem Collingridge-Dilemma lesen: Wo können technologische Entwicklungen zuerst aufgegriffen werden? Aus den involvierten Scientific Communities selbst. Zwar können auch sie über die konkrete Ausgestaltung ihrer Anwendungen nur begrenzt Aussagen treffen. Doch entsprechend der eigenen Forschungs- und Entwicklungsziele lässt sich bereits ausgesprochen früh vieles über den Anwendungskontext und dementsprechend über die zu erwartenden Folgen aussagen.
Die Akteure der Neurowissenschaften haben die gesellschaftspolitische ‚Ordnung des Diskurses’ nicht Akteuren außerhalb ihres Feldes überlassen, sondern den Problemhorizont selbst weit aufgespannt (Farah/Illes et al. 2004; Illes 2006) und das Thema mittlerweile hochkarätig in führenden Wissenschaftsjournalen wie Nature platziert (vgl. Beddington/Cooper et al. 2008; vgl. Greely/Sahakian et al. 2008). Im Zentrum der Debatte steht dabei die Frage der neurowissenschaftlichen Anwendungen außerhalb medizinischer Indikationen, da sowohl neurowissenschaftliche Bildtechnologien (Neuroimaging, fMRI) wie auch pharmakologische Interventionen (cognitive enhancement) zunehmend im nicht-medizinischen Bereich (Arbeitswelt, Freizeit, Militär) Verbreitung finden, bzw. eine solche Verbreitung antizipiert wird (vgl. Illes/Kirschen 2003; Sahakian/Morein-Zamir 2007). Werden zentrale Fragestellungen des Technology Assessment zukünftiger Technologien aus der Scientific Community selbst aufgegriffen, sind die Chancen entsprechend hoch, die ‚Ordnung des Diskurses’ und das öffentliche Bild der Neurotechnologien maßgeblich bestimmen zu können: Insbesondere wenn die generellen Themen, Vorbehalte und Regulierungsdiskurse, die aus vergleichbaren Technologiefeldern bekannt sind, aufgenommen werden. Dem Technology Assessement und den Regulierungsanforderungen von ‚außen’ wird im Vorhinein begegnet: Durch ein Anticipatory Technology Assessment (ATA).
Das Anticipatory Technology Assessment (ATA) der Neurosciences lässt sich als eine Form von TA analysieren, das CTA und RTTA aufgreift, bzw. strukturelle Ähnlichkeiten aufweist: Nicht Effekte und Auswirkungen der zukünftig möglichen Anwendungen stehen im Vordergrund, sondern die Gestaltung der Anwendungen entlang gesellschaftlicher Anforderungen (allerdings spezifischer gesellschaftlicher Anwendungen, vgl. Schaper-Rinkel 2007). Während CTA auf den frühen Dialog mit unterschiedlichen Akteuren setzt, werden im ATA der Neurosciences Interessen unterschiedlicher Akteure diskursiv durch die Akteure auf dem Feld der Neurowissenschaften aufgegriffen und somit Koalitionen vorbereitet. Damit wird auch eine Prozeduralisierung des ATA konzeptionell vorbereitet, da Akteure benannt werden, die für die weitere Technologieentwicklung und ihre Implementierung zentral sind.
Mit der offensiven Thematisierung und Spezifizierung von Regulierungsanforderungen, wird zugleich die zukünftig wünschenswerte Form der Governance von Neurotechnologien konzeptionell entwickelt (vgl. Schaper-Rinkel 2008).
In dem Beitrag soll dargestellt werden, wie erstens aus dem Feld der Neurosciences heraus TA betrieben wird, warum dies zweitens exemplarisch, bezeichnend und symptomatisch für die als Technoscience charakterisierte Verschränkung von Grundlagenforschung und Technologieentwicklung ist und drittens schließlich was für Probleme diese Tendenz für aktuelle Technikfolgenabschätzung mit sich bringt.
Literatur
Beddington, J., Cooper, C. L., Field, J., et al., 2008, The mental wealth of nations, in: Nature 455 (7216): 1057-1060.
Farah, M. J., Illes, J., Cook-Deegan, R., et al., 2004, Neurocognitive enhancement: what can we do and what should we do?, in: Nature Reviews Neuroscience (5): 421-425.
Greely, H., Sahakian, B., Harris, J., et al., 2008, Towards responsible use of cognitive-enhancing drugs by the healthy, in: Nature 456 (7223): 702-705.
Illes, Judy (Hrsg.), 2006, Neuroethics. Designing the Issues in Theory, Practice and Policy, Oxford.
Illes, J., Kirschen, M., 2003, New Prospects and Ethical Challenges for Neuroimaging Within and Outside the Health Care System, in: American Journal of Neuroradiology 24 (November/December
2003): 1923-1934.
Sahakian, B., Morein-Zamir, S., 2007, Professor’s little helper, in: Nature 450 (7173): 1157-1159.
Schaper-Rinkel, P., 2007, Die neurowissenschaftliche Gouvernementalität. Re-Konfiguration von Geschlecht zwischen Formbarkeit, Abschaffung und Re-Essentialisierung, in: Dölling, Irene /Dorothea
Dornhof/Karin Esders/Corinna Genschel/Sabine Hark (Hrsg.): Transformationen von Wissen, Mensch und Geschlecht, Königstein.
Schaper-Rinkel, Petra, 2008, Neuro-Enhancement Politiken. Die Konvergenz von Nano-Bio-Info-Cogno zur Optimierung des Menschen, in: Schöne-Seifert, Bettina/Johann S. Ach/Uwe
Opolka/Davinia Talbot (Hrsg.): Neuro-Enhancement. Ethik vor neuen Herausforderungen, Paderborn: 295-320.