Bilder der zukünftigen Nanotechnologie und Nanomedizin (Buchbeitrag)

Petra Schaper-Rinkel (2007). Gestaltsehen der Zukunft: Bilder der zukünftigen Nanotechnologie und Nanomedizin in Wissenschaft und Politik. In: Frank Stahnisch und Heijko Bauer (Hrsg.). Bild und Gestalt. Wie formen Medienpraktiken das Wissen in Medizin und Humanwissenschaften? (Reihe: Medizin und Gesellschaft) Münster u. a.: LIT-Verlag 2007. S. 245-264

[Visions of future Nanotechnology and Nano-Medicine in Science and Medicine]

Einleitung

Leitbilder, Visionen, Metaphern und Szenarien einer zukünftigen Nanomedizin formen die Generierung von aktuellem Wissen. Welche Gestalt die Nanotechnologien – die Manipulation von Materie auf atomarer Ebene –und Nanomedizin in der Zukunft annehmen werden, ist ungewiss. Bilder dienen in dem Prozess der Entwicklung einer Zukunftstechnologie der Verständigung von Akteuren aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Medizin. Bilder einer zukünftigen Nanomedizin verweisen auf einen Modus des Wissenstransfers zwischen den beteiligten Disziplinen (Medizin, Nanowissenschaften, Nanobiotechnologie etc.) als auch zwischen speziellen Fachdisziplinen, politischen Institutionen (insbesondere der Forschungsförderung) und einer allgemeinen Öffentlichkeit. Zugleich bieten Bilder und Metaphern einen Verhandlungsmodus, mit dem mögliche Richtungen von Forschung und Entwicklung zwischen unterschiedlichen Akteuren ausgehandelt werden.

Der polnische Mikrobiologe, Arzt und Wissenschaftsforscher Ludwik Fleck (1896-1961), stellte eine enge Verknüpfung zwischen dem Denken und dem Sehen für den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess fest. Die Herausbildung eines spezifischen wissenschaftlichen Denkstils ist gekoppelt – so Fleck – an die Fähigkeit, eine spezifische Sehweise zu entwickeln. So genanntes Gestaltsehen (das bei ihm nicht auf zukünftige Entwicklungen bezogen ist, sondern auf Erkenntnisprozesse im mikrobiologischem Labor) ist das Ergebnis eines spezifischen Denkstils.

„Wir können also Denkstil als gerichtetes Wahrnehmen, mit entsprechendem gedanklichen und sachlichen Verarbeiten des Wahrgenommenen definieren.“[1]

Ähnlich verhält es sich mit dem Gestaltsehen potentieller Zukünfte: Ein spezifischer Denkstil (der verknüpft ist mit einem entsprechenden Gestaltsehen in Form von Zukunftsbildern und hypothetischen Modellen) bietet die Möglichkeit eines gerichteten Wahrnehmens auf ein zukünftiges Ziel hin. Lässt sich also Flecks begriffliches Instrumentarium nutzen, um die Entwicklung der Nanotechnologie und der Nanomedizin als einen interaktiven soziotechnischen und wissenschaftspolitischen Prozess zu analysieren? Dieser Versuch soll im Folgenden unternommen werden.

Flecks Ausgangspunkt war die medizinische Forschung. Sowohl die medizinische Forschung als auch die Entwicklung einer Schlüsseltechnologie sind anwendungsorientiert. Im Zentrum der Nano-Forschung steht (wie in der Medizin) nicht die abstrakte Erkenntnis; Ziel ist vielmehr die Realisierung von Anwendungen sowie die konkrete Entwicklung von neuen Verfahren (Prozessinnovationen) und von neuen Produkten (Produktinnovationen). In der Forschungsförderung und Technologiepolitik der Nanotechnologie bilden nanotechnologische Innovationen in Medizin und ‚Life Sciences’ einen wichtigen Schwerpunkt.[2] Von Beginn an ist die Diskussion zukünftiger nanotechnologischer Entwicklungen immer auch an Innovationen im medizinischen Bereich festgemacht worden und mit Bildern einer ganz neuen Medizin verknüpft.[3] Die so genannte Nanomedizin ist durch einen spezifischen Denkstil gekennzeichnet, der die molekulare Ebene fokussiert und dabei funktionale Maschinenbilder mit Bildern aus organisch-biologischen Traditionen verbindet. Wie entwickelt sich die Bildersprache der Nanotechnologie und Nanomedizin und welche Bedeutung haben diese Bilder in Bezug auf die Konstituierung des transdisziplinären Feldes?

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[1] Ludwik Fleck: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache (1935). Frankfurt am Main: Suhrkamp 1980; hier S. 130.

[2] Robert Farkas: Nanotechnologie pro Gesundheit: Chancen und Risiken. Innovations- und Technikanalyse. Eine Veröffentlichung des BMBF. Aachen 2004; VDI Technologiezentrum: Leitinnovation NanoForLife. Nanotechnologien für Life Sciences und Gesundheit. Düsseldorf 2004; Volker Wagner und Dietmar Wechsler: Nanobiotechnologie II. Anwendungen in der Medizin und Pharmazie. Düsseldorf 2004.

[3] Eric K. Drexler: Engines of Creation. New York: Anchor Press 1987; hier S. 99-129; Eric K. Drexler et al.: Experiment Zukunft. Die nanotechnologische Revolution. Bonn; Paris; Reading: Addison-Wesley 1991; hier
S. 211-238.