Kunst in der Wissenschaftskommunikation: Machtverschiebungen in der Repräsentation von Naturwissenschaft und Technik (Buchbeitrag)

Petra Schaper-Rinkel (2004). Kunst in der Wissenschafts-kommunikation: Machtverschiebungen in der Repräsentation von Naturwissenschaft und Technik. In: Ingrid Bauer, Helga Embacher, Ernst Hanisch u.a. (Hrsg.) Kunst – Kommunikation – Macht. Sechster Österreichischer Zeitgeschichtetag 2003. Innsbruck / Wien / Bozen: Studienverlag. S. 475-479

Kunst in der Wissenschaftskommunikation: Machtverschiebungen in der Repräsentation von Naturwissenschaft und Technik[1]

Wissenschaft und Zukunftstechnologien gelten zu Beginn des 21. Jahrhunderts als entscheidende Größen für die zukünftige gesellschaftliche Entwicklung und für die Machtpositionen von Nationalstaaten und Regionen. Politische Macht ist an die Macht zur Bestimmung der technisch-naturwissenschaftlichen Entwicklung gekoppelt. Wissenschaftsausstellungen, Science Center und Technikmuseen schaffen Medienwirklichkeiten, in denen die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Technik und Wissenschaft repräsentiert und kommuniziert werden. Dabei reichen die visuellen Strategien von gefälligem Design bis zu künstlerisch reflektierender Auseinandersetzung. Das Spektrum der Darstellung reicht von Präsentationen, die auf Wissensvermittlung ausgerichtet sind über Erlebniswelten bis zu Inszenierungen, die Wissenschaft und Kunst in ihrer technologischen Bedingtheit reflektieren. Die Ausrichtung der Wissenschaftskommunikation in Science Centern, Technikmuseen und Wissenschaftsausstellungen ist mit dem institutionellen Rahmen verknüpft, in dem sich die Träger bewegen. Durch institutionelle Veränderungen (in der Bundesrepublik Deutschland die Privatisierung von Museen; Umwandlung in Stiftungen, Sponsoring) verändern sich die Rahmenbedingungen für die künstlerisch-mediale Repräsentation.

Experiment und Visualisierung sind die zwei klassischen Strategien, um naturwissenschaftliche Erkenntnisse und technische Funktionsprinzipien einer größeren Öffentlichkeit nahezubringen. So verfügte die Berliner Urania Ende des 19. Jahrhundert sowohl über einen Laienexperimentiersaal als auch über ein Wissenschaftliches Theater, in dem Themen wie „Von der Erde bis zum Monde“ oder die „Geschichte der Urwelt“ mit den damals zur Verfügung stehenden Medien veranschaulicht wurde. Um ein breites öffentliches Interesse zu erreichen, wird versucht, Naturwissenschaft und Technik in spannender, interaktiver und visuell anspruchsvoller Weise zugänglich zu machen. Seit Ende der 60er Jahre werden zunehmend Science Center gegründet, die Experimente in den Vordergrund stellen. Die interaktiven Ansätze der Science Center haben nachfolgend auch in Technikmuseen und Wissenschaftsausstellungen Einzug gehalten.

I.                   Visuelle Kultur des Experiments: Ästhetik und Erfahrung naturwissenschaftlich-technischer Phänomene

Frank Oppenheimer initiiert Ende der 60er Jahre in San Francisco mit dem „Exploratorium“ das erste Science Center, das diesen Namen trägt. Die Aufklärung über die moderne Wissenschaft und Technik sowie die Anregung zur eigenständigen Auseinandersetzung soll an diesem Ort gefördert werden. Die Sinne konstituieren das Ordnungsprinzip des Exploratoriums: Gehörsinn, Gesichtssinn, Geschmacks-, Geruchs- und Tastsinn, sowie die Sinne zur Kontrolle des Gleichgewichts, der Fortbewegung und des Hantierens bilden die Grundordnung, nach der die Experimente präsentiert werden. In Deutschland stehen das Spectrum Berlin und die Phänomenta in Flensburg und anderen Städten dem klassischen Beispiel besonders nahe. Im Zentrum steht das Experiment. Die Experimentierstationen sind im Berliner Spectrum nach den Bereichen der naturwissenschaftlichen Phänomene geordnet: Eine Abteilung macht die Akustik und die mit ihr zusammenhängenden Phänomene deutlich, die nächste die Optik. Experimente zur visuellen Wahrnehmung, zu akustische Phänomenen und Knopfdruckvorführungen zur Elektrizität bieten ein breites Versuchsfeld. Ganz auf Experimentierstationen konzentriert, sind diese zurückhaltend gestaltet, um das Experiment in den Vordergrund zu stellen. Die Aufmerksamkeit wird auf die Wahrnehmung und das Begreifen gelenkt.

Die Anknüpfungspunkte der Phänomenta sind neben dem Exploratorium in San Francisco die Ansätze von Hugo Kükelhaus, der in den 60er Jahren die  Schaffung von Erfahrungsfeldern zur ‚Entfaltung der Sinne‘ anregte. Zentral sind Experimentierstationen, deren Funktionalität und Selbstevidenz im Vordergrund steht. Der Purismus in der Form ist sowohl Konzept als auch Zwang für eine Institution, die überwiegend auf Eintrittsgelder und die ehrenamtliche Mitarbeit von Engagierten angewiesen ist und keine institutionelle öffentliche Förderung erhält. Das schlichte Design ist neben der Finanzierung auch dem Konzept angemessen, da dieses auf Durchschaubarkeit angelegt ist und in erster Linie zum eigenen Lernen und Handeln befähigen will. Die visuelle Kultur – an einer Bauhaus-Ästhetik orientiert – läßt dem Experiment und damit dem naturwissenschaftliche Phänomen den ersten Platz. Durch diese Darstellung erscheinen Naturwissenschaft und Technik tendenziell neutral. Der historische Kontext der Entdeckung von Phänomenen und der Durchsetzung von Technologien bleibt im Hintergrund. Technik und Naturwissenschaft werden als Phänomene mit einer Eigenmacht dargestellt – indirekt werden sie so zu einer bestimmenden Determinante gesellschaftlicher Entwicklung.

II.                Visuelle Kultur der Emotionalisierung: Naturwissenschaft und Technik als Erlebniswelt

Das Deutsche Museum, eines der größten und traditionsreichsten Häuser zur Vermittlung von Technik und Naturwissenschaft hat mit seiner Pharmazie-Ausstellung im Jahr 2000 ein aufwändiges multimediales Ausstellungs-Design realisiert. Doch die von der Pharmaindustrie gesponserte Ausstellung wirkt wie eine Imagekampagne für die Industrie: Den werbenden Charakter signalisiert bereits das Motto: „Chemie ist Leben“. Ein Titel, dessen suggestive Kraft die traditionell kritische Assoziation, die mit der Pharma-Industrie verbunden ist, umzudrehen sucht. Die Pharmazie-Ausstellung folgt stark einem gestaltungsorientierten Konzept mit hoher emotionaler Ansprache. Zentrales Exponat ist eine begehbare Zelle in dreihundertfünfzigtausendfacher Vergrößerung, die von außen in blau wanderndes Licht getaucht ist, um Fluidität zu demonstrieren. In ihrem Inneren erwartet die Besucher ein Film, in dem ‚die Zelle‘ über die neue Welt der Molekularbiologie berichtet. ‚Die Zelle‘ erzählt in klassischer Ich-Form und mit einer weiblichen Werbestimme von ihrer Zusammenarbeit mit einem Molekularbiologen, der ihren Defekt behandelt. Die Ausstellung ist konzeptionell darauf ausgerichtet, Begeisterung für die Pharmazie und die Biotechnologie zu wecken. Eine aktive und kritische Auseinandersetzung mit diesem gesellschaftlich kontrovers diskutierten Bereich wird dabei nicht angeregt. Die aufwändige ästhetische Gestaltung dient der emotionalen Einvernahme, wobei die unterschiedlichen Medien nicht die Geschichte dessen reflektieren, was sie darstellen, sondern zu einer Identifikation auffordern.

Eine Erlebniswelt bietet auch das Universum Bremen, dass seine Experimentierstationen in drei Expeditionen einbettet. Die Expeditionen zur Erde, in den Kosmos und zum Menschen beginnen jeweils mit der Frage nach dem Ursprung und enden gemeinsam im Themenblock ‚Zeit‘. Von einer ausgefallenen Architektur, die zu Assoziationen einlädt und die wahlweise als gestrandetes Raumschiff, als Riesenpistazie oder auch als Wal interpretiert wird, über die themenspezifische und ästhetisch anspruchsvolle Gestaltung der Expeditionen bis hin zu den einzelnen Experimentierstationen ist die emotionale Ansprache und Herstellung von Atmosphäre von hoher Bedeutung.

Zu den physikalischen Experimenten kommen im Universum Erlebnisräume, die vorwiegend die Gefühlsebene ansprechen sollen. Dazu gehört die „begehbare Gebärmutter“, die mit ihren Sitzecken und Liegewiesen in Höhlenform das Gefühl von Geborgenheit vermitteln soll. In einem Erdbebensimulator können die Besucher auf einem Sofa sitzend, verschiedene Stärken historische Erdbeben zum gefahrlosen ‚Nachempfinden‘ per Knopfdruck auswählen. Die wissenschaftliche Orientierung des Science Centers wird über die enge Anbindung an die Bremer Universität hergestellt, die im Lenkungskreis des Science Centers vertreten ist. Entstanden aus der Universität, realisiert im Zusammenspiel von Universität, Land, Bauunternehmer und Betreiber und betrieben von einer privatwirtschaftlichen GmbH, soll hier langfristig realisiert werden, was bisher als unmöglich galt: Wissenschaftlicher Anspruch, der sich rechnen soll. Die aufwändige visuelle Gestaltung ist dabei Teil einer Marketingstrategie.

Die visuelle Kultur der Emotionalisierung macht aus Naturwissenschaft und Technik eine emotional faszinierende Erlebniswelt, in der Kontroversen über die weitere Entwicklung von Technologien hinter der Faszination zurückstehen.

III.             Visuelle Kultur der Reflexion: Ästhetik des widersprüchlichen Bezugs

Im Jahr 2004 soll das von der dekonstruktivistischen Architektin Zaha Hadid entworfene Science Center Phäno in Wolfsburg eröffnet werden, dessen Exponate dem ästhetischen Konzept des Exploratoriums folgen werden. Die Besonderheit wird hier in der Architektur liegen, die das Science Center Wolfsburg – wie alle Bauten von Zaha Hadid – zu einem internationalen Publikumsmagneten machen soll. Kunst, Macht und Kommunikation sind hier wichtige Themen: Das Science Center von Zaha Hadid wird gegenüber der Autostadt Wolfsburg, dem Auto-Erlebnispark des Volkswagen-Konzerns  stehen. Auf der einen Seite der Bahnstrecke sieht man die auf Imagepflege des Konzern orientierte eingängige Park-Landschaft, auf der anderen Seite den Koloss von Zaha Hadid, unzugänglich, symbolisch interpretierbar. Die angewandten Auto-Wissenschaften und –Künste der gefälligen Auto-Erlebniswelt werden konstrastiert mit der inszenierten Welt aus postmoderner Architektur-Kunst (Zaha Hadids Entwurf) und der direkten Erfahrung physikalischer Phänomene. Der Konzern-Macht der glatten Markenkommunikation wird von der Stadt eine zu vielfältigen Interpretationen einladende, spektakuläre Architektur entgegengesetzt. Ob es sich nur um eine Ergänzung handeln wird – die durch den Konzern und durch moderne Technologie vermögende Stadt setzt der Markenwerbung eine ergänzende Medienwelt der ‚reinen‘ Wissenschaft entgegen – oder ob ein Spannungsverhältnis entstehen wird, wird erst die öffentliche Wahrnehmung und Interpretation des Baus und seiner Ausstellung zeigen.

Das Hygiene Museum Dresden, das mit wegweisenden Konzepten die vielfältigen gesellschaftlichen Dimensionen von Naturwissenschaft und Technik zeigt, trägt den Untertitel ‚Universalmuseum vom Menschen‘. Hier sind die Ausstellungskonzepte auf die gesellschaftliche Kommunikation und Reflexion aktueller Themen aus (Natur)Wissenschaft und technischer Entwicklung gerichtet. Mit der überregionalen Medienwirkung, die die Sonderausstellungen erzielen, sind die ausgestellten Themen und  Thesen überregional wirksam. Im Jahr 2000 thematisierte die Sonderausstellung ‚Kosmos im Kopf‘ die Geschichte und die vielfältigen (vergangenen und aktuellen) Methoden der Hirnforschung. Die historische Entwicklung der Forschungsfeldes wird über Interieurs gestaltet, die die Ansätze der Hirnforschung medial repräsentieren. Dabei entsteht ein Bilder der Wissenschaftsgeschichte, das exemplarisch die unterschiedlichen Zugänge und Brüche aufzeigt und damit Wissenschaft und Forschung in ihrer gesellschaftlichen und historischen Einbettung zeigt. Wissenschaftskommunikation bekommt hier die Form einer transmedialen visuellen Reflexion. Es wird deutlich, wie stark Wissenschaftskulturen und Forschungspraxen mit gesellschaftlichen Deutungsmustern und Machtverhältnissen verknüpft sind. Die Machtverhältnisse werden in ihrer politischen und historischen Bedingtheit sichtbar und damit zum Gegenstand expliziter Auseinandersetzung.

IV.              Wissenschaftskommunikation zwischen Aufklärung und Zustimmungsorganisation

Science Center und Technikmuseen entwickeln sich als Medien der Wissenschaftskommunikation entlang verschiedener Spannungsverhältnisse. Aufwändige Wissenschafts- und Technikausstellungen im Kontext von Public Understanding of Science verweisen auf das gegenwärtig ambivalente Verhältnis zu Wissenschaft und Technik. Einerseits gilt den europäischen Regierungen und der Europäischen Kommission das Verhältnis der Bürger zu Wissenschaft und Technik als zu skeptisch. So ist es das Ziel entsprechender politischer Programme eindeutig: Eine höhere Zustimmung soll erreicht werden, um im internationalen Technologiewettbewerb an erster Stelle zu stehen. Die technisch-medialen Geschichtsbilder, die von Wissenschaft und Technik produziert werden, machen aus Wissenschaft und Technik eher einen Mythos und eine verzauberte Welt, als das sie zu einer kritischen Aneignung anregen. Wissenschaftskommunikation im Museum und im Science Center hat traditionell den Anspruch, Orientierungswissen in einer von Wissenschaft und Technik bestimmten Gesellschaft zu bieten. Die medialen Wirklichkeiten des Edutainments stehen konzeptionell und faktisch zwischen Jahrmarkt und Labor. Rückt das Erlebnis gegenüber der Reflexion in den Vordergrund, wird eine Oberflächlichkeit befördert, die dem Anspruch, naturwissenschaftliche Phänomene und technische Prinzipien in ihrer wissenschaftlichen und/oder historischen Dimension zu begreifen, entgegensteht. Die multimediale Erlebnisorientierung über Space- und Time-Shuttles, Erdbebensimulatoren und ähnlichen Inszenierungen unterstützen die verbreitete Konsumhaltung und regen nicht zu eigener aktiver Auseinandersetzung an.

Traditionelle Wissenschaftskommunikation ist eine öffentliche Angelegenheit, die aus öffentlichen Mitteln finanziert wurde. Im Zuge der Sparmaßnahmen nimmt die institutionelle Förderung ab. Bei sinkenden öffentlichen Zuschüssen sind sowohl Science Center als auch die Museen, die Science-Center-Ansätze integrieren, zunehmend auf Sponsorengelder angewiesen. Die Tendenz geht zu einer verstärkten Staatsunabhängigkeit, die zugleich mit dem Druck verbunden ist, erhebliche Mittel selbst zu erwirtschaften. In einem solchen ökonomischen Kontext ist damit zu rechnen, das Kunst in der Wissenschaftskommunikation die Rolle zugewiesen wird, eine visuelle Ästhetik der Zustimmung  zu produzieren, nicht jedoch in reflektierender Weise die gesellschaftlichen Dimensionen naturwissenschaflich-technischer Entwicklungswege zu reflektieren.

Die inhaltlichen Kernaufgaben der Vermittlung und Präsentation von Wissenschaft und Technik weichen der Kernaufgabe von integrierten Marketingstrategien und –aktivitäten. Perspektivisch könnte sich die Kernkompetenz wandeln: Weg von Informations- und Aufklärungsprozessen hin zur Unterhaltung mittels Naturwissenschaft und Technik. Damit würden Information und Aufklärung in den Hintergrund gedrängt werden und dem Wirtschaftlichkeitsziel untergeordnet werden. Wird der Kontext der Wissenschaftskommunikation weiter kommerzialisiert, so wird Kunst in der Wissenschaftskommunikation zu einem Instrument, die bestehenden Machtverhältnisse und Entwicklungswege zu zementieren.


[1] Dieser Beitrag beruht auf einer Studie, die für das deutsche Bundesforschungsministerium (bmbf) durchgeführt wurde: Petra Schaper-Rinkel et al., Science Center. Studie im Auftrag des BMBF, Teltow 2001.