Risiko Nanotechnologie? (Artikel / Blätter 1/2010)

Petra Schaper-Rinkel: Risiko Nanotechnologie? in: Blätter für deutsche und internationale Politik,  Ausgabe 01/2010 – Seite 15 bis 18

[Nanotechnology risks?]

Vor einigen Jahren galt Nanotechnologie als großes Versprechen auf eine Zukunft, in der sich die industrielle Produktion revolutionär verändern würde: Aus den kleinsten Teilchen, Atom für Atom, ließe sich alles Wünschenswerte produzieren. Mit intelligenten Werkstoffen schien sich eine umweltverträgliche Produktion bei minimalem Energieverbrauch anzukündigen, in der sich die Dinge durch kontrollierte Steuerung aus ihren kleinsten Teilchen selbst aufbauen.

Für Eric K. Drexler, der den Begriff in den 80er Jahren in die Öffentlichkeit brachte, markierte Nanotechnologie einen umfassenden Ansatz, Technik nach dem Vorbild der Natur aus den kleinsten Teilen zu konstruieren. Jede Zelle sei eine Fabrik auf Nano-Ebene, und diese Fabrik sei in der Lage, aus einfachsten Stoffen der Umgebung hochkomplexe Systeme von Bäumen bis hin zu Menschen herzustellen. Ausgehend von genetischen Informationen baue die Natur „von unten“, unter Verwendung nur weniger Stoffe aus ihrer Umgebung, komplexe Lebewesen auf. Was wäre, so Drexler weiter, wenn sich dieses Prinzip bei der Produktion von Gegenständen realisieren ließe, wir also in der Lage wären, ebenfalls von den kleinsten Teilchen ausgehend die Dinge zu schaffen, die wir brauchen?[1]

Von dieser radikalen Idee einer molekularen Nanotechnologie, in der sich Materie kontrolliert selbst organisiert, sind wir weit entfernt. Geblieben ist ein weites Feld, dessen gemeinsamer Nenner darin besteht, dass es sich um Technologien handelt, bei denen Teilchen und Prozesse der Größenordnung unter 100 Nanometern eine wesentliche Rolle spielen.

Auf den Markt kamen statt weltbewegender Erzeugnisse bisher kratzfeste, nano-beschichtete Brillengläser, Sonnencremes mit Nano-Partikeln sowie Socken, die dank kleinster Silber-Partikel Gerüche binden. Neben diesen wenig spektakulären Konsumprodukten wird unter dem Label Nanotechnologie in der Forschungsförderung vieles finanziert, was den gewohnten Pfaden der etablierten Hightech-Industrien folgt. Führend ist hier insbesondere die weitere Miniaturisierung in der Mikroelektronik: In Dresden erhielt das „Maskenzentrum für Mikrostrukturierung“ fast 30 Mio. Euro, um nanoelektronische Bauelemente zu entwickeln. Neben den Großprojekten in der Chipindustrie lässt es sich das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) zurzeit mehr als 5,5 Mio. Euro kosten,  eine neue Informationskampagne zur Nanotechnologie zu konzipieren.

Verspätete Skepsis

Im Dreieck von wenig spektakulären Nano-Produkten, Förderung etablierter Industrien und fortgesetzten PR-Kampagnen wurde es still die Nanotechnologie, doch nun hat sie es wieder in die Schlagzeilen geschafft. Denn Ende Oktober 2009 warnte das Umweltbundesamt (UBA) ausdrücklich vor der Verwendung von Nanomaterialien. In einer Überblicksstudie berichtet das Amt über noch weitgehend unerforschten Risiken. Es sei daher nicht auszuschließen, dass Nanopartikel über Atemwege, Haut und Mund aufgenommen werden und aufgrund ihrer geringen Größe in den Blutkreislauf gelangen könnten. Ebenso wenig sei auszuschließen, dass die Partikel in der Lunge asbestfaserähnliche Effekte – also Entzündungsreaktionen – auslösen könnten. Das Umweltbundesamt rät daher, die „Verwendung von Produkten, die Nanomaterialien enthalten und freisetzen können, sollte – so lange ihre Wirkung auf Mensch und Umwelt weitgehend unbekannt ist – möglichst vermieden werden.“[2] Gefordert wird zudem eine Kennzeichnungspflicht, damit die Käufer Nano-Produkte erkennen können.

Für deutsche Verhältnisse sind die Forderungen des UBA fast radikal, könnten sie doch, was Behörden ansonsten zu vermeiden suchen, die Akzeptanz für Nanotechnologie in Frage stellen. International gibt es schon lange Kritik daran, wie Nanotechnologie entwickelt wird. Bereits Anfang dieses Jahrzehnts forderte die kanadische Umweltgruppe ETC ein Moratorium. 2004 veröffentlichte die Rückversicherungsgesellschaft Swiss Re eine Studie, in der befürchtet wurde, Nanotechnologie könne „zur Kategorie der revolutionären Risiken mit ursächlich nachweisbarer Schadenfolge“ gehören und damit ein hohes Risiko für die Versicherungsbranche darstellen. Und die britische Royal Society sowie die Royal Academy of Engineering machten sich mit ihrer Forderung nach einer umfassenden Risikoforschung und einer Nanotechnologiepolitik, die nicht einseitig an Industrieinteressen orientiert sein sollte, bei der britischen Regierung unbeliebt.[3] Auf diesem Stand ist das UBA geblieben, obwohl sich in fünf Jahren einiges verändert hat.

Passiert ist bisher allerdings wenig, und daher kommt die jüngste Warnung des Umweltbundesamtes eindeutig zu spät. Denn mehr als fünf Jahre nach dem britischen Bericht ist klar, dass die freiwilligen Maßnahmen von Industrieverbänden keine greifbaren Ergebnisse gezeitigt haben.

Alles Nano?

Regulierung einer Technologie aufgrund einer Größendefinition ist nur sehr begrenzt sinnvoll, wie exemplarisch die Intervention der Milchindustrie zeigt, die sich gegen den undifferenzierten Gebrauch des Begriffs verwehrt.  Wenn Nanotechnologie die Größendimension beschreibt, dann ist alles Nano. Dann fielen Milchbestandteile wie Caseine, Molkenproteinen und Immunoglobulin unter die Definition von Nanotechnologie. Zudem wäre auch die Milchherstellung ein nanotechnologischer Prozess, da sich die Gerinnung der Milch durch Casein auf der Nanoebene abspielt.

Und hier liegt das Problem: Die Kennzeichnung von Nanomaterialien hört sich einfach an, doch stellt das Umweltbundesamt in der Studie selbst fest, dass es an trennscharfen Definitionen mangelt.

Warum wird dennoch eine solch plakative Forderung erhoben? Mit dieser Art öffentlichkeitswirksamer Risikokommunikation versuchen Institutionen ihr Gewicht in der Regulierungsdebatte zu erhöhen, auch um mehr Ressourcen für Studien zu den Risikopotentialen zu erhalten. Das ist zweifellos wichtig; doch zugleich reproduziert das Umweltbundesamt damit eine zweifelhafte Trennung von Technik, Gesellschaft und Natur, die seine eigene Handlungsfähigkeit und die Spielräume anderer Umweltakteure eher minimiert als erweitert.

Was die Diskussion über Nanotechnologie kennzeichnet, ist eine höchst traditionelle Sichtweise, in der Technik, Gesellschaft und Natur als unabhängig voneinander begriffen werden: Nanotechnologie (bzw. Nanopartikel) sind aus dieser Perspektive Entitäten, die mit ihrem Entstehen auf Menschen, Umwelt und Gesellschaft wirken, und die verwendet, reguliert oder auch vermieden werden können. Eine Debatte, wie forschungspolitische Ziele  sowie die Entwicklungsprozesse und die Produktion neuer Technologien gesellschaftlich gestaltet werden können findet jedoch nicht statt.

Die Transparenz, die das Umweltbundesamt fordert, setzt viel zu spät an: Mit der bloßen Kennzeichnung von Konsumprodukten ist lediglich der Konsument und nicht die Bürgerin angesprochen. Zwar ist es hilfreich, wenn wenigstens die Möglichkeit besteht, Kaufentscheidungen im Wissen um die Inhaltsstoffe bewusst zu  treffen, doch ist es bei den sehr unterschiedlichen Stoffen und Prozessen auf der Nanoebene fraglich, ob eine solche Transparenz tatsächlich machbar ist (wie das Beispiel der Milchindustrie zeigt). Zentral für eine demokratische Technikgestaltung ist jedoch nicht die Möglichkeit von Verweigerung im Nachhinein, sondern vielmehr die gesellschaftliche Bestimmung von technologischer Entwicklung. Dazu gehört, dass über Risiken nicht erst gesprochen und Risikoforschung nicht erst finanziert wird, wenn es kontroverse Debatten über bereits bestehende Produkte gibt, sondern dass mögliche Risikodimensionen bereits in der technologiepolitischen Entwicklung von Forschungsschwerpunkten identifiziert werden und in der Forschungsförderung eindeutig berücksichtige werden.

Eine wirksame Regulierung dynamischer Technologiefelder kann langfristig nur dann greifen, wenn sich eine gesellschaftliche Regulierung von Technologien herausbildet, die ökologische Ziele und Risikodimensionen in die Entwicklung und Umsetzung von Forschungsstrategien und -programmen integriert. Dafür müssen neben den klassischen technologiepolitischen Akteuren aus Industrie, Wissenschaft und Politik auch Akteure aus der Umweltforschung, sozialwissenschaftlicher Innovationsforschung und Nichtregierungsorganisationen über die Forschungsprioritäten mitentscheiden.

Eine solche transdisziplinäre Verbindung von technologischen, ökologischen und sozialen Innovationen würde die staatliche Technologiepolitik stark verändern. Denn das BMBF ist mit dem Konzept des „Stärken stärken“ darauf ausgerichtet, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit der traditionellen Industrien wie der Automobilindustrie durch nanotechnologische Innovationen zu forcieren.[4] Wer öffentliche Forschungsförderung einwerben will, muss ein hohes marktwirtschaftliches Verwertungspotential nachweisen können. Der gesellschaftliche oder ökologische Nutzen der Projekte ist dagegen kein Bewertungskriterium. So werden zweifelhafte Innovationen, wie elektronisch schaltbare Farbwechsel der Lacke von Autos, zu einer „Vision“ des BMBF.

Die Nanotechnologie-Forschungsförderung wurde in den 90er Jahren in einem exklusiven Zirkel von Vertretern aus Industrie, Technikwissenschaften und Ministerien vorbereitet. Da transdisziplinäre Wissensformen, mittels derer beispielsweise das Vorsorgeprinzip von vornherein hätte konkretisiert werden können, nicht in die Forschungsprogrammatik einbezogen waren, müssen Regularien im Nachhinein entwickelt werden. Diese Reparaturarbeiten im Nanokosmos, um insbesondere Regularien für nicht-gebundene Nanopartikel in Kosmetik und Lebensmitteln zu entwickeln, sind zwar zentral für eine „verantwortungsvolle Entwicklung“, kommen jedoch ein weiteres Mal viel zu spät.

Politik statt Ethik

Diese Entwicklung könnte sich wiederholen: Denn in Bälde könnten qualitativ neuartige Nanotechnologien entwickelt werden. Dazu gehören aktive Nano-Strukturen, beispielsweise Nanokapseln für den zielgerichteten Transport von Arzneimitteln, die erst am Bestimmungsort ihre Wirkstoffe freigeben. In den Szenarien für die fernere Zukunft entstehen komplexe Nano-Artefakte auf molekularer Ebene, die Formen der kontrollierten Selbstorganisation von molekularen Strukturen beinhalten. Hier entsteht auch eine Schnittstelle zu dem neuesten Hype: Im Wettlauf der Zukunftstechnologien wird die Staffel rasant weitergegeben: Dem Nano-Hype folgte die Diskussion über konvergierende Technologien; jetzt steht die Debatte über synthetische Biologie an. Über eine transdisziplinäre Zusammenarbeit von Nanobiotechnologie, Molekularbiologie, organischer Chemie und Informationstechnologie sollen neuartige biologische Systeme technisch geschaffen werden. Die Grundidee der molekularen Nanotechnologie wird hier wieder aufgegriffen, maßgeschneiderte Bio-Bauteile (wie Abschnitte eines Genoms) sollen bestimmte Aufgaben erfüllen, um einen modularen Aufbau von Biofabriken zu ermöglichen.

Zu diesem Thema haben sich in der Bundesrepublik inzwischen verschiedene Wissenschaftsorganisationen zusammengeschlossen, um die „möglichen Chancen und Risiken der Synthetischen Biologie“ zu identifizieren. Auch die Mitwirkung der Öffentlichkeit ist in der weiteren Entwicklung des Feldes zumindest vorgesehen, sie soll die „ethischen Aspekte“ diskutieren. Doch für eine eingreifend und wirksame Kontrolle dieses Forschungsfeldes, das Nanotechnologie und Biotechnologie vereint, dürfte sich die Öffentlichkeit in Form zivilgesellschaftlicher Akteure gerade nicht auf die Rolle derer beschränken lassen, die für ethische Fragen zuständig sind. Nur wenn es gelingt, gesellschaftliche Kernfragen (wie beispielsweise den Umgang mit dem Klimawandel) von vornherein in die vermeintlich nur technischen Fragestellungen neuer Forschungsgebiete zu integrieren, wird eine wirksame Governance der Risiken von Zukunftstechnologien möglich. Nur dann werden sich Zukunftstechnologien auf gesellschaftliche Erfordernisse ausrichten lassen.


[1] K. Eric Drexler, Engines of Creation. The Coming Era of Nanotechnology, New York 1987; K. Eric Drexler, Chris Peterson und Gayle Pergamit, Experiment Zukunft. Die nanotechnologische Revolution, Bonn und Paris 1991.

[2] Vgl. die Presseerklärung 75/2009 zur Studie: Umweltbundesamt, Nanotechnik für Mensch und Umwelt – Chancen fördern und Risiken mindern, Dessau-Roßlau 2009.

[3] Vgl. ETC Group, Size Matters! The Case for a Global Moratorium. No Small Matter II, Winnipeg 2000; Swiss Reinsurance Company Swiss Re, Nanotechnologie. Kleine Teile – große Zukunft, Zürich 2004; Royal Society and The Royal Academy of Engineering, Nanoscienes and nanotechnologies: opportunities and uncertainties, London 2004.

[4] Vgl. Petra Schaper-Rinkel, Governance von Zukunftsversprechen: Zur politischen Ökonomoe der Nanotechnologie, in: „Prokla“, 145 (2006), S. 473-496.