Bio-Politische Ökonomie. Zur Zukunft des Regierens von Biotechnologien Buchbeitrag 2012 zur Zukunft der Bioökonomie

Petra Schaper-Rinkel, Bio-Politische Ökonomie. Zur Zukunft des Regierens von Biotechnologien. In: Susanne Lettow (Eds.), Bioökonomie. Die Lebenswissenschaften und die Bewirtschaftung der Körper (155-180). Bielefeld: transcript Verlag.
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https://doi.org/10.14361/transcript.9783839416402.155

Einleitung

Wird die Ökonomie der Zukunft zu einer „Bioökonomie“, in der ein Regime nachwachsender biologischer Ressourcen das fossile Energieregime der bisherigen Industrialisierung ablöst? Diese Position vertritt die Organisation für ökonomische Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die im Jahr das 2009 Szenarien einer Bioökonomie im Jahre 2030 veröffentlichte. Bereits der Titel The Bioeconomy to 2030. Designing a Policy Agenda verweist darauf, dass es sich um die politische Erschaffung einer Ökonomie handelt, deren Märkte erst durch die Mobilisierung von Akteuren aus Forschung und Industrie, als auch durch ein globales Regime von Verfügungsrechten und Regulierung etabliert  werden. Wie soll sie aussehen, die Bio-Ökonomie der Zukunft? Gemeinsam ist den Konzepten der OECD und anderer Organisationen, die ich in diesem Beitrag kritisch beleuchte, das Folgende: Der Gegensatz zwischen beschaulichem Bauernhof und rauchendem Industrieschlot ist aufgehoben; die Fabrik der Zukunft wird eine digital gesteuerte Plantage, auf der nachhaltig, CO2-frei, klimaneutral und effizient nicht nurLebensmittel, sondern auch noch Energie, Dämmstoffe, Pflanzenfasern für Kleidung und sogar Medikamente hergestellt werden.  Plastik und Naturmaterialien werden keine Gegensätze mehr darstellen, die Kunststoffproduktion wird auf pflanzlichen Rohstoffen beruhen. Biotechnologien sollen somit gleichermaßen die primäre Produktion (Lebensmittel und Rohstoffe), die gesamte Industrie sowie den Gesundheitsbereich transformieren (OECD 2009). Dabei werden Biotechnologien ausschließlich als Problemlösung dargestellt, während die mit damit verbundenen Probleme (vgl. ETC Group 2010) nicht thematisiert werden.

Begrifflich und konzeptionell umfassen die Konzepte der Bioökonomie verschiedene Biotechnologien, die gesellschaftlich unterschiedlichen Stellenwert haben und auch auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlichem Ausmaß umstritten oder weniger umstritten sind. Zentral interveniert das Konzept der

in den globalen Diskurs des Klimawandels, indem die Entwicklung der Bio-Ökonomie als Lösung für die Probleme des Klimawandels angesehen wird (OECD 2009, 3, 19, passim). Klimawandel wird als Realität anerkannt, dem es durch die Transformation der globalen Ökonomie zu einer Bioökonomie zu begegnen gelte. So lässt sich das Konzept zwar als Antworten auf den Klimawandel und die damit verbundene „Krise gesellschaftlicher Naturverhältnisse“ (vgl. Görg 2010) sehen, doch stellt sich die Frage, in welcher Richtung hier eine Transformation der Naturverhältnisse angestrebt wird,  handelt es sich doch um den Fall einer „biotechnologischen Transformation gesellschaftlicher Naturverhältnisse“ (Lettow 2006, 156). Die Frage dieses Beitrages schließt daran an und lautet, ob und inwiefern sich im Kontext der Bioökonomie neue Formen des Regierens herausbilden. Denn in den aktuellen aktuellen bioökonomischen Konzepten internationaler Organisationen wie der OECD werden die Umbrüche in den gesellschaftlichen Naturverhältnissen nicht mehr nur mit neu zu schaffenden Märkten in Verbindung gebracht. Vielmehr wird explizit vermehrt staatliche Politik gefordert. Post-neoliberal rückt das explizite Regieren in den Mittelpunkt des Geschehens, wenn von der OECD Formen des ‚guten Regierens‘ (good governance) als zentrale Voraussetzung für die Zukunft der globalen Bioökonomie angesehen werden.

Die Zukunftsszenarien der „Bioökonomie bis zum Jahr 2030“ analysiere ich vor diesem Hintergrund als Versuch, eine Politik zu erfinden, die spezifische Spannungsverhältnisse und Widersprüche bearbeitet, die sich in der heutigen globalen Ökonomie zeigen. Erstens reagiert das Konzept auf den Widerspruch zwischen einer fortgesetzten ökonomischen Wachstumsorientierung auf der einen Seite und der – zumindest rhetorisch – allerorten anerkannten  Notwendigkeit einer Abkehr von der fossilen Wirtschaft und ihren hohen CO2-Emissionen auf der anderen Seite. Ein weiteres Spannungsverhältnis, das das OECD-Konzept bearbeitet, resultiert aus dem verschärften Wettbewerb von Unternehmen, Staaten und Institutionen (z.B. Universitäten) einerseits und den Anforderungen an Kooperation und offene Interaktion andererseits. In der Wettbewerbslogik wird der Aufbau von Kooperationsbeziehungen, die über klar definierte gemeinsame Ziele hinausgeht, erschwert. In der Innovationsforschung und -politik wird dagegen Kooperation von unterschiedlichen Akteuren als Grundlage für inter- und transdisziplinäre Forschung gesehen, aus der die ‚radikalen‘ und ‚disruptiven‘ Innovationen der nächsten Jahrzehnte entstehen könnten, die die Grundlage für die Bio-Ökonomie sein sollen. Letztere ist erklärtes Ziel nicht nur der OECD sondern auch der entsprechenden nationalstaatlichen Entwürfe. Drittens geht es um das Spannungsverhältnis, das zwischen dem rigiden Schutz geistiger Eigentumsrechte einerseits und dem für die Forschung notwendigem Zugang zu Wissen anderseits besteht.

In dem Beitrag werden zunächst das OECD-Konzept und die deutsche Strategie zur Bioökonomie im Jahr 2030 vorgestellt. Daran anschließend diskutiere ich die bisherige Kritik an diesen Strategien. Im Schlussteil stelle ich mit Bezug auf Foucaults Analyse der Biopolitik dar, wie sich die heutigen regierungsnahen Konzepte der Bio-Ökonomie von jener Biopolitik unterscheiden, die sich im 19. Jahrhundert herausgebildet hat. Denn mit den Konzepten der Bio-Ökonomie steht heute nicht nur die Kontrolle der Bevölkerung, wie sie Foucault analysiert hat, auf der Agenda, sondern die Biomasse als Gesamtheit aller Lebewesen. Kontrolle wird dabei nicht (mehr)als zentrale Steuerung gefasst, sondern als Selbststeuerung heterogener Akteure. Paradigmatisch wird dabei eine Bio(techno)logisierung der Industrie angestrebt mit in der pflanzenbasierte Produktion die erdölbasierte Produktion im globalen Maßstab ersetzen soll.


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