Charlotte Perkins Gilmans Roman über Wert & Zukunft der Hausarbeit Mit einem Nachwort von Petra Schaper Rinkel

Diantha / Charlotte Perkins Gilman


Herausgeberin und ein Nachwort zu dem Roman

Charlotte Perkins Gilman, Diantha oder der Wert der Hausarbeit. Roman. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Petra Schaper Rinkel. Aus dem amerikanischen Englisch von Margot Fischer, Mandelbaum Verlag – September 2017

Diantha / Charlotte Perkins Gilman
Diantha oder der Wert der Hausarbeit

»Da gehst du hin und rechnest gegen kalte Dollar die Arbeit auf, die jedes anständige Mädchen glücklich ist, für seine Familie zu tun!«
Die US-amerikanische Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Charlotte Perkins Gilman entwirft 1910 in ihrem Roman die Idee der Frauenbefreiung durch Professionalisierung und Auslagerung von Hausarbeit.

 

Einleitung des Nachwort:

Feministisch-Utopisches Modell
eines idealen Marktes

1882 veröffentlicht eine bis dahin unbekannte Autorin namens Charlotte Perkins Gilman die autobiographisch geprägte Erzählung Die gelbe Tapete[1]. Darin soll eine junge Frau durch vollständige Untätigkeit von ihrer Depression geheilt werden. Eingeschlossen in einem Zimmer wird sie vom Anstarren der gelben Tapete (fast) wahnsinnig. Die sogenannte Ruhebehandlung hat Gilman selbst erlebt und ihre Geschichte sollte Frauen warnen, sich in der Klinik eines Therapeuten namens Mitchell behandeln zu lassen, dessen Rezept für Gilman folgendermaßen lautete: ‚Nehmen sie nie wieder Feder oder Bleistift in die Hand‘. Stattdessen solle sie ein häusliches Leben als Hausfrau und Mutter ohne jede intellektuelle Betätigung leben. Gilman entscheidet sich für das Gegenteil und gibt später eine eigene Zeitschrift heraus, deren einzige Autorin sie selbst ist. In eben dieser Monatszeitschrift, Forerunner (1909–1916), veröffentlicht sie ihren ersten Roman What Diantha did (1909/1910). Mit ihrer Protagonistin Diantha entwirft Gilman eine Heldin, die aufbricht, um die patriarchalen Relikte des Feudalismus in der kapitalistischen Ökonomie abzuschaffen, indem sie die Hausarbeit rationalisiert.

Was passiert mit einer Gesellschaft, wenn unbezahlte Hausarbeit einen monetären Wert bekommt und zu einem Dienstleistungssektor wird? In Zukunft könnte die Hausarbeit zu einer innovativen Service-Industrie verwandelt werden, wenn erst der Wert der Hausarbeit sichtbar gemacht wird.  Dieses Programm verfolgt Diantha Bell, die Hauptfigur des Romans, die vom Hausmädchen zur Unternehmerin aufsteigt. Sie bietet haushaltsnahe Dienstleistungen an, entwickelt einen Lieferdienst für Essen und baut Häuser für ihre Angestellten, die zuvor in den Häusern ihrer Arbeitgeber ein trostloses Dasein fristeten. Die Gründung eines umfassend expandierenden Unternehmens ist in der Geschichte gleichermaßen eine soziale Innovation wie indirekte politische Intervention zur Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse. Damit weist Gilmans Ansatz strukturell eine starke Ähnlichkeit mit dem aktuellen US-Mainstream Feminismus auf, einem »meritokratischen Feminismus« (Nancy Fraser)[1] der darauf ausgerichtet ist, die gläsernen Decken zu durchbrechen, die talentierten[2] Frauen den Zugang zu hohen Positionen in der Wirtschaft verwehren.

Die Schriftstellerin Charlotte Perkins Gilman wächst selbst unter schwierigen materiellen Bedingungen auf. Der Vater – Buchhändler, Schriftsteller und Neffe der Schriftstellerin Harriet Beecher Stowe – verlässt die Familie kurz nach ihrer Geburt. Mit der Mutter und ihrem älteren Bruder lebt Charlotte fortan in prekären Verhältnissen an wechselnden Orten. Charlotte Perkins heiratete 1884 trotz genereller Zweifel an der Institution Ehe einen Kunstmaler, bekommt eine Tochter, wird depressiv, verlässt ihren Mann und lässt die Tochter Katherine bei ihrem Ex-Mann und dessen neuer Gefährtin aufwachsen. Im Jahr 1900 heiratet sie ihren Cousin George Gilman, einen Rechtsanwalt, mit dem sie bis zu seinem Tod 1934 zusammenlebt. Die Dynamik ihres Lebens ist getrieben von der Depression, die sie zum Schreiben bringt, ihrer Devianz und der prekären finanziellen Lage, die ihr den klassischen Bildungsweg einer Schriftstellerin und Intellektuellen verunmöglicht. Gilman ist eine paradox agierende Außenseiterin, die einerseits einen starken Drang nach Unabhängigkeit hat, ihre Heldin Diantha jedoch hochgradig konventionell und angepasst entwirft. Was Gilman selbst mit ihrer Protagonistin Diantha verbindet, ist die Suche nach ökonomischer Unabhängigkeit und öffentlicher Wirksamkeit. Mit der Verspätung durch Ehe, Mutterschaft und ungesicherte ökonomische Verhältnisse sucht sie ihren Platz im politischen und intellektuellen Leben Nordamerikas nach der Jahrhundertwende um 1900. Sie engagiert sich international für die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen, schreibt über die Ökonomie des Geschlechterverhältnisses und publiziert über männlich definierte Kultur (sie prägt den Begriff Androzentrismus). Gilmans intellektuelle Entwicklung erscheint als beständige Suche nach den Bedingungen, den Möglichkeiten und der Unmöglichkeit des Selbstentwurfes eines Individuums, das in seiner Wirklichkeit das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse ist und diese zugleich zu überwinden sucht.

Im Roman leben die Heldin Diantha Bell und ihr Verlobter Ross Warden in zwei nachbarschaftlich verbundenen kalifornischen Familien, die gegensätzlich aber in ähnlicher Weise irrational organisiert sind. Statt seinen wissenschaftlichen Ambitionen nachgehen zu können, muss Ross das Lebensmittelgeschäft seines verstorbenen Vaters weiterführen. Er ist frustriert und nur begrenzt erfolgreich, doch verpflichtet ihn die Tradition, seiner Mutter und seinen Schwestern ein arbeitsfreies Leben auf hohem Konsumniveau zu sichern. Mutter und Schwestern lassen sich in ihrer häuslichen Idylle gelangweilt von Dienstboten bedienen. Die Mutter knüpft unentwegt buntes Garn zu Decken, die niemand im warmen Kalifornien braucht. Ihr Zweck ist lediglich, die Langeweile der Mutter zu vertreiben; so sind die bunten Decken das Symbol einer merkwürdigen Dekadenz, die in einer Formel zusammengefasst werden kann: Ressourcenverbrauch luxuriöser Materialien plus unnützer Arbeit gleich Zeitverschwendung auf Kosten der Lebens- und Arbeitszeit Anderer.

Im ärmlichen Haushalt der Hauptfigur Diantha kochen dagegen Mutter und Tochter zeitraubend auf einem alten Holzofen, während der ökonomisch erfolglose Hausherr Zeitung liest und Pfeife raucht. Als Geizhals und Gegner technischer Innovationen investiert der Vater nicht in Küchentechnik, womit angedeutet wird, dass auch seine geschäftlichen Aktivitäten ähnlich antimodern sind. So sind die beiden Verlobten mit ihrem Familiensystem in einem obsoleten Lebensmodell gefangen, das die Entfaltungsmöglichkeiten jedes Einzelnen erstickt.

Für alle Familien, die Gilman im Laufe ihrer Geschichte beschreibt, passt der erste Satz aus Leo Tolstois Opus Magnum Anna Karenina: »Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.« Doch während Tolstois berühmter Beginn in der Psychologie so interpretiert wird, dass Erfolg auf vielen Faktoren beruht, die alle stimmen müssen, während der Misserfolg nur einen Faktor braucht, entwickelt Gilman in ihrer Geschichte die Gegenthese. Jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich, solange die (bürgerlichen) Frauen durch die Ineffizienz der häuslichen Arbeit in ihrer Entfaltung einschränkt werden; alle glücklichen bürgerlichen Familien gleichen einander, wenn sie die Hausarbeit professionalisieren.

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[1]      Nancy Fraser sieht mit dem Wahlsieg Donald Trumps das Ende eben dieses „Progressiven Neoliberalismus“ gekommen, siehe: (Brenner & Fraser, 2017)

[2]      Was Talent und Begabung ausmacht, ist noch heute umstritten. Bei Gilman erscheinen besondere Fähigkeiten von einigen Frauen (und Männern) als dem Handeln und der Leistung vorgängig und damit angeboren.

[1]      Auf Deutsch erst 1978 erstmals erschienen: (Gilman, 2005)

 

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