Buchbeitrag Petra Schaper-Rinkel (2015), Antizipation von Zukunft zwischen Verwissenschaftlichung und Storytelling. In: Erzählung und Geltung. Wissenschaft zwischen Autorschaft und Autorität, Herausgegeben von Safia Azzouni, Stefan Böschen und Carsten Reinhardt, Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2015, S. 363-384
Antizipation von Zukunft zwischen Verwissenschaftlichung und Storytelling
In der Antizipation von gesellschaftlicher Zukunft ist die Generierung von politischem Zukunftswissen eng mit erzählerischen Verfahren verknüpft. Zukunftskonstruktionen bündeln wissenschaftliches Wissen aus unterschiedlichen Wissensfeldern und verweisen auf die Relevanz von heutigem Wissen für die Zukunft. Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen, die gerade unter der Annahme spezifischer Rahmenbedingungen entwickelt wurden, werden in den breiten Kontext einer zukünftigen Gegenwart gestellt. Diese Form der Übertragung und der Einbettung heutiger wissenschaftlicher Fakten in Geschichten ihrer zukünftigen kausalen Wirkungsweise macht das spezifisch Narrative der Antizipation von Zukunft aus.[1] Die Kontroversen um den Klimawandel zeigen diese Verbindung deutlich: Es geht um das Leben in der Zukunft und um die politischen Strategien, damit umzugehen.
Die Antizipation von Zukunft, die im Spannungsverhältnis von Verwissenschaftlichung und ‚großen Erzählungen‘ steht, konstruiert somit Zukunft, indem sie politische Rationalitäten doppelt einbezieht: Politische Rationalitäten bestimmen die Erzählung von einer spezifischen Zukunft und die Veränderung oder Stabilisierung von politischen Rationalitäten ist zugleich das implizite oder auch explizite Ziel von Zukunftskonstruktionen, seien es Horrorszenarien oder normativ positiv dargestellte Zukunftsvisionen.[2]
Die Antizipation von Zukunft variiert im Hinblick darauf, wie wissenschaftliche Wissensbestände über ihren jeweiligen Geltungsbereich für die Antizipation von Zukunft genutzt, politisch kontextualisiert und verwendet werden. Im politischen Raum ist die Antizipation von Zukunft durch eine Ambivalenz gekennzeichnet: durch Verwissenschaftlichung (Nutzung wissenschaftlichen Wissens und Systematisierung von Prozessen der Antizipation) und durch die Einbettung dieses Wissens in Erzählungen mit einer hypothetischen Dynamik (im Sinne von Storytelling)[3]. Eine Auswahl dieser Variationen, Zukunft zu antizipieren, wird im Folgenden dargestellt. Die Utopien der frühen Neuzeit bilden dabei den Ausgangspunkt unserer Untersuchung, denn in ihnen wird wissenschaftliches Wissen erstmals genutzt, um Gesellschaften narrativ zu entwerfen, die nach einer ganz anderen politischen Rationalität funktionieren als die Herkunftsgesellschaften ihrer Autoren und als alle bekannten Gesellschaften zu eben jener Zeit. Politische Utopien entwerfen alternative Gesellschaften auf normativ gewünschte politische Rationalitäten hin (siehe S. …ff). Seit dem 19. Jahrhundert wird eine Form der Antizipation von Zukunft prominent, die Zukunft als Extrapolation der Gegenwart erzählt. Dabei werden spezifische wissenschaftliche und technologische Entwicklungen zum Ausgangspunkt für umfassende Erzählungen zukünftiger Gesellschaften (siehe S. … ff). In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verändert sich die Antizipation von Zukunft im politischen Raum: Sie wird von einer individuellen Praxis zu einer kollektiven Praxis und wird durch empirische Erhebung von Erwartungen systematisiert (siehe S. …); Zukunft wird zudem umfassend zu einem staatlichen Planungsobjekt (siehe S. …ff). Im Kontext sozialer Bewegungen seit den 1960er Jahren wird die staatliche Antizipation der Zukunft aber auch zum Objekt der Kritik, der neue Verfahren entgegengestellt werden (siehe S. … ff). Schließlich wurden in den letzten Jahrzehnten partizipativ generierte Zukunftsszenarien Teil von Governance-Instrumenten, so dass die Antizipation der Zukunft selbst zu einem politischen Prozess wird (Siehe S ). Die ausgewählten Varianten der Antizipation von Zukunft zeigen, dass im politischen Raum der wissensbasierte Entwurf von Zukunft eng mit normativen Erwartungen hinsichtlich des Erhalts bestimmter politischer Rationalitäten oder aber der Kritik der herrschenden politischen Ordnung und ihrer entsprechenden Rationalität gekoppelt sind.
Weiter im Buch: Erzählung und Geltung, Herausgegeben von Safia Azzouni, Stefan Böschen und Carsten Reinhardt, S. 363-384
[1] Sprechen wir von der Zukunft, so handelt es sich um ein Gedankenexperiment, in dem ein Ausschnitt des Status quo in eine gedachte zukünftige Gegenwart projiziert wird Grunwald 2009. Dabei ist die Medialität der Modelle und Prognosen selbst vgl.Gramelsberger 2010 zentral in der Antizipation von Zukunft, und in ihr zeigt sich zugleich die Zeitgebundenheit des Zukunftswissens vgl.Hartmann 2010.
[2] Z.B. entwickelt der Geowissenschaftler Laurence C. Smith in seinem Buch „Die Welt im Jahr 2050“ diverse Gedankenexperimente wie die Arktis im Jahr 2050 aussehen könnte, was dies für die Menschen in der Region und die geopolitischen Machtverhältnisse heißen könnte und verlässt somit das Feld der eigenen Forschung, um aber Interesse für eben diese Forschung zu wecken Smith 2011.
[3] Der Begriff des Storytelling wird im Folgenden synonym mit den Begriff der Erzählung verwendet. Storytelling betont stark das Element des Plots und der Dynamik, die eine Geschichte vorantreibt und zu Konsequenzen führt Phillips 2012, Clark 1995.
[1] Sprechen wir von der Zukunft, so handelt es sich um ein Gedankenexperiment, in dem ein Ausschnitt des Status quo in eine gedachte zukünftige Gegenwart projiziert wird Grunwald 2009. Dabei ist die Medialität der Modelle und Prognosen selbst vgl.Gramelsberger 2010 zentral in der Antizipation von Zukunft, und in ihr zeigt sich zugleich die Zeitgebundenheit des Zukunftswissens vgl.Hartmann 2010.
[2] Z.B. entwickelt der Geowissenschaftler Laurence C. Smith in seinem Buch „Die Welt im Jahr 2050“ diverse Gedankenexperimente wie die Arktis im Jahr 2050 aussehen könnte, was dies für die Menschen in der Region und die geopolitischen Machtverhältnisse heißen könnte und verlässt somit das Feld der eigenen Forschung, um aber Interesse für eben diese Forschung zu wecken Smith 2011.